Verhandlungen zum Grenzvertrag mit Polen

Vor dem Mauerfall und der Öffnung der innerdeutschen Grenzen spielt die Anerkennung der Westgrenze Polens keine Rolle in der DDR. Bereits am 6. Juli 1950 hatte die DDR die polnische Westgrenze mit dem Abschluss des Görlitzer Abkommens völkerrechtlich anerkannt. Erst die Perspektive der deutschen Einheit bringt die deutsch-polnische Grenzfrage wieder auf die politische Agenda.

Die erste Reise des neuen Ministers für Auswärtige Angelegenheit, Markus Meckel, führt aus diesem Grund nach Warschau und nicht in die Bundesrepublik. Damit setzt Markus Meckel einen ersten eigenen außenpolitischen Schwerpunkt zu einem Thema, das von der Bundesregierung kritisch bewertet wird.

Polen, Warschau, Meckel mit Jaruzelski. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0423-025, Fotograf: Klaus Oberst
Markus Meckel (l.), mit dem polnischen Präsidenten, Wojciech Jaruzelski am 23. April 1990 in Warschau. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0423-025, Fotograf: Klaus Oberst

In Gesprächen mit polnischen Politikern bekräftigt Markus Meckel die Notwendigkeit, die polnischen Sicherheitsinteressen beim Prozess der deutschen Einheit anzuerkennen und die Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze als Grundlage einer neuen europäischen Ordnung zu etablieren.

Auch die Volkskammer bekennt sich in ihrer zweiten Sitzung zur Unverletzlichkeit der Grenzen, weist jedwede Gebietsansprüche zurück und fordert die zukünftige vertragliche Bestätigung der Grenzen durch ein gesamtdeutsches Parlament.

Markus Meckel zu den Verhandlungen über die Westgrenze Polens.

Heimatfilm GbR, 2009

Rita Süssmuth äußert sich im Interview über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Voraussetzung für die deutsche Einheit.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Dieter Kastrup, Leiter der Delegation der Bundesrepublik Deutschland bei den Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag, über die Grenzfrage.

© „Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl verliest in der zweiten Sitzung der Volkskammer am 12. April 1990 die gemeinsame Erklärung aller Volkskammerfraktionen zur Verantwortung der Deutschen in der DDR für ihre Geschichte und Zukunft.

Deutscher Bundestag

Aufgrund der unterschiedlichen Bewertungen zum Vorgehen in der Grenzfrage treffen sich Markus Meckel und Hans-Dietrich Genscher in Bonn, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Sie kommen zu der Übereinkunft, dass polnische Vertreter immer dann an den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen teilnehmen sollen, wenn über die Grenzfrage gesprochen wird. Zudem wird eine deutsch-deutsch-polnische Kommission eingesetzt, in der Details zum Vorgehen in Grenzfragen geklärt werden sollen.

DDR-AM Meckel in Bonn 1990. Quelle: Bundesregierung / Reinicke
Hans-Dietrich Genscher (r.) empfängt Markus Meckel am 24. April 1990 zu einem Gespräch im Auswärtigen Amt in Bonn. Quelle: Bundesregierung / Reinicke

Schon Anfang Mai 1990 präsentiert die polnische Regierung beim ersten Treffen der trilateralen Verhandlungsgruppe in Warschau einen Entwurf für einen „Vertrag zwischen der Republik Polen und Deutschland über die Grundlagen gegenseitiger Beziehungen“. In neun Artikeln sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

 

 

 

  1. Festlegung des deutsch-polnischen Grenzverlaufs
  2. Unverletzlichkeit des Grenzverlaufs
  3. Verzicht auf gegenseitige Gebietsansprüche
  4. Vornahme nationaler Rechtsanpassungen zur Wahrung der Maßgaben
  5. Bindung an das Völkerrecht
  6. Vertiefung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakte
  7. Bestand der bereits bestehenden internationalen Vereinbarungen mit der Bundesrepublik und der DDR
  8. Durchführung regelmäßiger Konsultationen
  9. Ratifikation des Vertrages nach der deutschen Einheit

Nachdem in der ersten Verhandlungsrunde keine Einigung erreicht werden kann, folgen zwei weitere Treffen am 18. und 29. Mai 1990. Parallel zu den Gesprächen laufen die Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen auf Beamten- und Ministerebene, zu denen die polnische Delegation jedoch keinen Zutritt hat, obwohl dort entscheidende Fragen der völkerrechtlichen Anerkennung der Grenzen diskutiert werden.

Die ersten beiden Runden der trilateralen Verhandlungen bringen keine Annäherung, da vor allem die Bundesregierung eine frühzeitige völkerrechtliche Einigung ablehnt und den Ausgang der Zwei-Plus-Vier-Gespräche abwarten möchte.

Quelle: Kopie, StAufarb, Depositum Prof. Dr. Ulrich Albrecht, Nr. 16, 7 S.
Protokoll des dritten Treffens

Protokoll des dritten Treffens im Rahmen der Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen auf Beamtenebene am 22. Mai 1990 in Ost-Berlin.

Quelle: Kopie, StAufarb, Depositum Prof. Dr. Ulrich Albrecht, Nr. 7, 20 S.
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Zur Herbeiführung einer Kompromisslösung erarbeitet das MfAA einen Vorschlag für das dritte Treffen am 29. Mai 1990 in Ost-Berlin. Dieser beinhaltet eine Fortsetzung trilateraler Gespräche, die Aushandlung eines gemeinsamen Vertragsentwurfes sowie eine Ratifizierung des Grenzvertrages nach der deutschen Einheit. Die polnische Seite äußert sich besorgt über den zögerlichen Fortgang der Verhandlungen. Am 25. Mai 1990 wendet sich der polnische Ministerpräsident Krzysztof Skubiszewski mit einem Brief an Markus Meckel. Darin bekräftigt er den Wunsch, den Vertragstext zur völkerrechtlichen Bestätigung der deutsch-polnischen Grenze schon vor der Verwirklichung der deutschen Einheit festzulegen. Die Unterschrift hingegen solle erst danach erfolgen.

Brief des polnischen Außeniministers Krzysztof Skubiszewski

Brief des polnischen Außeniministers Krzysztof Skubiszewski an Markus Meckel vom 25. Mai 1990.

Quelle: Kopie, StAufarb, Depositum Markus Meckel, Nr. 650
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Auch auf dem dritten und letzten Treffen wird keine Einigung erzielt, da die Delegation der Bundesrepublik kein Mandat für Zusagen oder Absprachen jedweder Art erhält. Zudem werden alle westdeutschen Verhandlungsteilnehmer ausgewechselt, so dass nur noch niedrigrangige Beamte anwesend sind. Zwar wird ein weiteres Treffen vereinbart, dieses findet jedoch nicht mehr statt. Infolgedessen werden die Gespräche auf die Beamtenebene der Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen verlagert.

Auf einem informellen Treffen am Rande der KSZE-Konferenz am 6. Juni 1990 in Kopenhagen teilt der polnische Außenminister Skubiszewski seinem bundesdeutschen Kollegen Hans-Dietrich Genscher mit, dass die polnische Regierung auf die frühzeitige Ausformulierung eines völkerrechtlichen Vertrages verzichtet. Damit sind die bundesdeutschen Bedingungen erfüllt. Das MfAA wird von dieser Entwicklung jedoch nicht unterrichtet und bemüht sich vergeblich um eine Klärung dieses Sachverhaltes in den Beamtenrunden.

Am 20 Juni 1990 beschließt die Volkskammer eine Erklärung zur Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze. Einen Monat später findet das dritte Treffen der Außenminister am 17. Juli 1990 in Paris statt. Unter der Beteiligung Polens werden die gemeinsamen Grundlagen zur Regelung der Grenzfragen endgültig festgelegt. Kurz nach dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages reist Bundeskanzler Kohl am 9. November 1990 nach Polen. Bei einem Treffen mit dem polnischen Premierminister Tadeusz Mazowiecki in Słubice bestätigt Helmut Kohl zwar die bevorstehende Unterzeichnung des Grenzvertrages am 14. November 1990, doch eine Ratifizierung soll erst mit Abschluss des Nachbarschaftsvertrages erfolgen. Damit hält die Bundesregierung die Grenzfrage während der ersten gesamtdeutschen Bundestageswahlen offen. Die endgültige völkerrechtliche Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze erfolgt erst mit dem Inkrafttreten des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages am 16. Januar 1992 offen.

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vom 14. November 1990 über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze.

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