Unter dem Banner der „antiimperialistischen Solidarität“ engagiert sich die DDR mit vielfältigen Projekten und Maßnahmen bis 1990 weltweit in rund 100 Entwicklungsländern. Diese Zusammenarbeit wird vorrangig nach strategischen, ideologischen und politischen Kriterien gestaltet: So ist die „antiimperialistische Solidarität“ als Instrument der DDR-Außenpolitik maßgeblich durch die Systemauseinandersetzung im Ost-West-Konflikt geprägt. Durch die Unterstützung von Entwicklungsländern erhofft sich die DDR einerseits die internationale Anerkennung als eigenständiger Staat und andererseits eine Stärkung des sozialistischen Blocks. Ab den 1980er Jahren stehen zunehmend ökonomische Überlegungen im Vordergrund, da sich die DDR über die Entwicklungsländer zugleich dringend benötigte Grund- und Rohstoffe im Austausch gegen eigene Waren sichert.
Aufgrund der politisch-ideologischen Ausrichtung werden im offiziellen Sprachgebrauch der DDR Begriffe wie Entwicklungshilfe oder Entwicklungspolitik, wie sie beispielsweise in der Bundesrepublik gebräuchlich sind, auch nicht verwendet – die DDR leistet „solidarische Hilfe“.
Die Beziehungen zu den Entwicklungsländern bestehen aus einer komplexen Mischung von unentgeltlichen Leistungen, kommerziellen Handelsbeziehungen sowie wissenschaftlich-technischen und kulturellen Maßnahmen. Dazu zählen im Wesentlichen:
Entsendung von Personal in Entwicklungsländer (Hochschullehrer, Gewerbelehrer, landwirtschaftliche und andere Fachkräfte)
Stipendien, Studienaufenthalte und Aus- und Fortbildungsprogramme in der DDR
Medizinische Betreuung, insbesondere für Angehörige von (sozialistischen) Befreiungsbewegungen
Materielle Hilfe, d.h. Katastrophen-, Nahrungs- oder auch Warenhilfe
Investitionen
Gewährung günstiger Kredite
Handelsabkommen zu Präferenzpreisen
In Hanoi (Vietnam) wird mit Hilfe der DDR zwischen 1970 und 1977 ein Krankenhaus rekonstruiert. Darüber hinaus schickt die DDR Medikamente und Ausrüstung, darunter diesen Krankenwagen vom Typ Barkas 1000. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-M0612-416, Fotograf: Hubert Link
Die Besonderheit der Entwicklungszusammenarbeit in der DDR bis 1989 liegt im Fehlen einer zentralen Institution, welche die entwicklungspolitischen Maßnahmen auf staatlicher Ebene koordiniert. Es gibt weder eine einheitliche Konzeption zur Umsetzung bestimmter Zielsetzungen noch eine zentrale Planung und Leitung. Erst im November 1988 wird durch eine vom Ministerrat beschlossene „Ordnung über die Koordinierung und Abrechnung der Hilfeleistungen der DDR gegenüber Entwicklungsländern“ die staatliche Koordinierung entwicklungspolitischer Maßnahmen institutionell verankert. Diese Regelung beschränkt sich jedoch auf die rückwärtige Erfassung und Abrechnung von Maßnahmen, so dass die Steuerung der Entwicklungspolitik weiterhin bei verschiedenen beteiligten Staatsorganen verbleibt. Mehr als 60 staatliche und gesellschaftliche Institutionen sind an der Umsetzung der Maßnahmen und Projekte beteiligt, darunter eine Vielzahl von Ministerien. Die Maßnahmen der gesellschaftlichen Organisationen werden seit 1960 überwiegend durch das Solidaritätskomitee koordiniert, das formal selbstständig agiert, de facto aber der Weisung des ZK der SED untersteht. Durch die Tatsache, dass die Entwicklungszusammenarbeit durch verschiedene Einrichtungen realisiert und aus verschiedenen Quellen finanziert wird, gibt es keine vollständigen Übersichten zu den Aktivitäten der DDR auf diesem Gebiet.
Auch wenn die DDR entwicklungspolitische Beziehungen zu insgesamt etwa 100 Ländern unterhält, so konzentriert sich das Engagement auf etwa 30 Schwerpunktländer in Afrika, Asien und Lateinamerika. Ganz besonders intensiv ist dabei die Zusammenarbeit mit den Ländern Afghanistan, Angola, Äthiopien, Kambodscha, Kuba, Laos, Mongolei, Mosambik, Nicaragua, Südjemen und Vietnam. Darüber hinaus unterstützt die DDR sozialistische Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika wie die SWAPO in Namibia und den ANC in Südafrika.
Neugründung und Amtssitz
Mit dem Amtsantritt der neuen Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière wird erstmals eine zentrale Stelle geschaffen, welche die bisher auf verschiedene staatliche und gesellschaftliche Organisationen verteilten Kompetenzen und Aufgaben zusammenführt. Damit wird eine einheitliche Durchführung aller entwicklungspolitischen Maßnahmen gewährleistet. Strukturell wird das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (MWZ) nach bundesdeutschem Vorbild aufgebaut. Es werden fünf große Aufgabenbereiche definiert:
Aufbau des Ministeriums
Formulierung eines neuen entwicklungspolitischen Gesamtkonzeptes
Erfassung, Betreuung und Evaluierung bestehender entwicklungspolitischer Maßnahmen
Förderung von Entwicklungshilfeaktivitäten von nichtstaatlichen Organisationen, Gruppierungen und Unternehmen
Koordinierung und Finanzierung von Maßnahmen der Katastrophenhilfe
Im Haus der Ministerien residieren neben dem Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit auch das Ministerium für Finanzen und das Ministerium für Regionale und Kommunale Angelegenheiten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1985-1120-309, Fotograf: Heinz Junge
Zum Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit wird der Pfarrer Hans-Wilhelm Ebeling ernannt, der bis zu seiner Berufung in der Leipziger Thomaskirche tätig gewesen ist. Ihm zur Seite stehen ab Mai zwei Staatssekretäre, die sich ebenfalls durch ihr Engagement in der evangelischen Kirche auszeichnen: Oswald Wutzke und Wolf-Dieter Graewe. Insgesamt werden rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neu eingestellt, von denen ein Großteil aus kirchlichen Institutionen und Dritte-Welt-Gruppen kommen, die häufig auch Teilnehmer des Entwicklungspolitischen Runden Tisches sind. Auch Vertreter der bisherigen offiziellen Solidaritätspolitik der DDR werden im MWZ beschäftigt. Dabei handelt es sich zumeist um als politisch unbescholten geltende Personen, die zuvor keine führenden Positionen innehatten. Nur in Ausnahmefällen wird auf die Kompetenz und das Wissen der alten Elite zurückgegriffen. Außerdem wechseln Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus anderen Ministerien in das neu gegründete MWZ. Unterstützung beim organisatorischen Aufbau leistet das bundesdeutsche Entwicklungshilfeministerium, das auch zwei Berater entsendet. Darüber hinaus findet eine fachlich-inhaltliche Zusammenarbeit beider Ministerien statt. Von Anfang an werden dabei auch Pläne zur Zusammenführung des ost- und des westdeutschen Ressorts entwickelt. Zusätzlich wird das Ministerium von bundesdeutschen Organisationen wie beispielsweise der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) beraten.
Das Ministerium hat seinen Dienstsitz im Haus der Ministerien in der Leipziger Straße 5-7 und besteht aus drei Abteilungen mit 10 Unterabteilungen und 32 Referaten:
Abteilung 1: Grundsätze, Regionale Entwicklungspolitik und bilaterale Zusammenarbeit
Abteilung 2: Sektorale Bereiche der Entwicklungspolitik, multilaterale Zusammenarbeit, Erfolgskontrolle
Abteilung 3: Allgemeine Verwaltung, Personal und Haushalt
Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wird das MWZ aufgelöst. Etwa 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden ins BMZ übernommen, das eine Außenstelle in Berlin einrichtet. Die Leitung der Außenstelle übernimmt Staatssekretär Wolf-Dieter Graewe.
Hans-Wilhelm Ebeling erinnert sich im Interview an die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für das neu geschaffene Ministerium.
Bundesstiftung Aufarbeitung, 2016
Oswald Wutzke erinnert sich im Interview an den Aufbau und die Aufgaben des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015
Hans-Wilhelm Ebeling berichtet über die Personalsituation im neu geschaffenen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Heimatfilm GbR, 2009
Oswald Wutzke beschreibt im Interview die Position und Aufgaben des Ministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit bei der Zusammenführung der ost- und westdeutschen Ministeriumsstrukturen.
Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015
Ministerbiografie
Hans-Wilhelm Ebeling (*1934), Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit
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