Damit die Berufsbildung bis zum Beginn des neuen Lehrjahres am 1. September auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt ist, werden im Juli 1990 zwei wichtige Gesetze beschlossen:
- Gesetz zur Inkraftsetzung des Berufsbildungsgesetzes der Bundesrepublik durch die DDR
- Gesetz über Berufsschulen
Mit diesen beiden Gesetzen werden der Ordnungsrahmen und die Berufsstruktur der Bundesrepublik im Bereich der beruflichen Bildung in der DDR eingeführt. Das Berufsbildungsgesetz enthält allgemeine Regelungen zur Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und Umschulung. Es legt beispielsweise die Bezeichnung des Ausbildungsberufes, die Ausbildungsdauer, die Fertigkeiten und Kenntnisse, die Gegenstand der Berufsbildung sind, einen Ausbildungsrahmenplan sowie die Prüfungsanforderungen fest.
Das Gesetz über Berufsschulen regelt die Aufgaben, die Errichtung und Finanzierung von Berufsschulen und behält solange Gültigkeit bis die künftigen neuen Länder eigene Schulgesetze erlassen. Damit wird für die Zeit des Übergangs verhindert, dass im Bereich der Berufsbildung ein rechtsfreier Raum entsteht.
Von zentraler Bedeutung ist die Beibehaltung des dualen Prinzips der Ausbildung. Der Unterschied besteht aber künftig darin, dass die berufspraktische Ausbildung im privaten Ausbildungsbetrieb stattfindet und die theoretische Ausbildung getrennt davon in einer öffentlichen Berufsschule erfolgt. Das Gesetz über Berufsschulen legt fest, dass die alten Betriebsberufsschulen zum 31. August 1990 formal aufzulösen und zum 1. September 1990 in kommunale Trägerschaft zu überführen sind. Damit wird eine geordnete Übergabe ermöglicht und verhindert, dass im Zuge der Reprivatisierung der volkseigenen Betriebe die vorhandenen (und dringend benötigten) Berufsschulen einfach verschwinden. Als Berufsschulen in Trägerschaft der Kreise und kreisfreien Städte sind sie öffentliche Schulen und werden als solche aus öffentlicher Hand finanziert. Das hat den Vorteil, dass zugleich einheitliche Rahmenbedingungen für die Berufsschullehrer und ihre künftige soziale Stellung geschaffen werden. Der Staat beteiligt sich bis zur endgültigen Regelung durch neue Ländergesetze an den Kosten für Lehrpersonal, Betrieb und Unterhalt der Berufsschulen. Darüber hinaus regelt das Gesetz, dass die bisher für den theoretischen Unterricht genutzten Gebäude einschließlich Grund und Boden sowie das dazugehörige Inventar der Betriebsberufsschule kostenlos in die Rechtsträgerschaft des örtlich zuständigen Trägers der Berufsschule übergeht. Auch die Lehrlingswohnheime sind dem neuen Träger bis spätestens 31. Dezember 1990 kostenlos zur Nutzung zu übergeben. Die Wohnrechte der Lehrlinge bleiben erhalten.
Eine weitere Neuerung ist, dass der Zugang zur beruflichen Bildung offener gestaltet wird. Mit der Einführung eines Berufsvorbereitungsjahres bzw. eines Berufsbildungsgrundjahres werden mehr Möglichkeiten geschaffen, um ein für alle Schulabgänger passendes Ausbildungsangebot bereitzuhalten. Dies ist notwendig, da Schätzungen aus dem Juli 1990 davon ausgehen, dass etwa 10.000 bis 12.000 Schulabgänger ohne Ausbildungs- bzw. Arbeitsvertrag sind. Hauptursache dafür ist die wirtschaftlich prekäre Lage vieler Betriebe, die zögern, neue Lehrlinge einzustellen. Nach dem Gesetz über Berufsschulen sind diese Jugendlichen jedoch ein Jahr lang berufsschulpflichtig. Mit der Absolvierung eines berufsvorbereitenden Jahres sollen sich die Jugendlichen entsprechend ihren individuellen Voraussetzungen auf das künftige Arbeitsleben vorbereiten. Als flankierende Maßnahme zur Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit bestätigt der Ministerrat außerdem im August 1990 einen Beschluss zur Ausbildungsplatzförderung für Schulabgänger und Lehrlinge im Lehrjahr 1990/91. Das Förderprogramm umfasst 100 Millionen DM. Lehrlinge aus konkursgefährdeten Betrieben erhalten einen Zuschuss zu ihren Ausbildungskosten, wenn sie ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb oder überbetrieblich fortsetzen. Außerdem werden neue Ausbildungsplätze im Zusammenhang mit Existenzgründungen im Handwerk und der mittelständischen Industrie gefördert. Für Werkstatt- und Übungsplätze wird eine Überbrückungsfinanzierung gewährt.