In einem Positionspapier des Ministeriums für Gesundheitswesen vom 5. Juni 1990 zum Aufbau der Krankenversicherung heißt es: „Ziel (…) ist die Schaffung eines (…) gegliederten Krankenkassensystems mit Körperschaften des öffentlichen Rechts in Selbstverwaltung. Das Krankenkassensystem hat die Finanzierung der medizinischen Versorgung des Versicherten zu gewährleisten.“ Es stützt sich dabei auf Regelungen aus dem ersten Staatsvertrag, in dem die Grundsätze für die Reform der DDR-Sozialversicherung formuliert sind. Artikel 21 betrifft die Krankenversicherung, wobei mit dem ersten Absatz die grundlegende Richtung festgeschrieben ist: „Die DDR leitet alle erforderlichen Maßnahmen ein, um ihr Krankenversicherungsrecht an das der Bundesrepublik Deutschland anzugleichen.“ Zu diesem Zweck wird zum 31. Dezember 1990 die zentrale Sozialversicherung aufgelöst, in der bisher Renten-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung vereint sind. Jeden Versicherungszweig wird es künftig einzeln geben. Dafür werden die einzelnen Zweige in eigene Körperschaften des öffentlichen Rechts überführt. Damit gehen grundlegende Änderungen in den Leistungen einher. Bisher wird aus den Einnahmen der zentralen Sozialversicherung, in der alle Bürgerinnen und Bürger erfasst sind, die umfassende Versorgung bei Krankheit, Schwangerschaft, Unfall oder Invalidität bezahlt. In die medizinische Versorgung sind die zeitlich unbefristete ambulante, die stationäre ärztliche und die zahnärztliche Behandlung eingeschlossen. Die Sozialversicherung übernimmt außerdem die Kosten für Medikamente, Zahnersatz und andere Heilmittel, die Inanspruchnahme von Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen sowie die Zahlung von Kranken- und Ausfallgeld. Diese Rundumversorgung hat ihren Preis: In den 1980er Jahren kann mit den Einnahmen aus der Sozialversicherung nur rund die Hälfte aller Ausgaben gedeckt werden, so dass die andere Hälfte durch den Staatshaushalt zusätzlich zur Verfügung gestellt werden muss.
Mit der Herauslösung der Krankenversicherung aus dem gemeinsamen Träger und der Schaffung eines gegliederten Krankenkassensystems muss ein neues Modell für die Finanzierung der Leistungen gefunden werden. Die umfassende kostenlose medizinische Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger kann aus wirtschaftlichen Gründen nicht aufrechterhalten werden. Vieles muss neu geregelt und verhandelt werden, wie zum Beispiel Gebühren- und Honorarverordnungen, nach denen Ärzte und Zahnärzte ihre Leistungen künftig abrechnen können. Weitere notwendige rechtliche Regelungen zum Aufbau der neuen Krankenversicherung umfassen ein Krankenkassenerrichtungsgesetz und ein Krankenkassen-Vertragsgesetz, ein Krankenhausfinanzierungsgesetz, eine Pflegesatzverordnung sowie Regelungen zu Festbeträgen bei Hilfs- und Arzneimitteln.
Es wird außerdem festgelegt, welche Leistungen von der Krankenkasse zu finanzieren sind. Dazu gehören die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, die häusliche Pflege und Haushaltshilfe, der Krankentransport, die Krankenhauspflege sowie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Für andere Leistungen wie beispielsweise Zahnersatz, Vorsorgekuren, Rehabilitationskuren und Krankenhausaufenthalte werden Zuzahlungen gewährt. Sonstige Kosten wie besondere medizinische Behandlungen oder rezeptfreie Medikamente müssen künftig von den Bürgerinnen und Bürgern selbst getragen werden.
Bevor das System der gegliederten Krankenkassen in Kraft treten kann, wird ab Juli 1990 mit dem Aufbau einer sogenannten Basiskrankenversicherung begonnen. Erst wenn diese Krankenkasse aufgebaut ist, ist die Gliederung des Krankenkassensystems möglich. Dazu gibt es Beratungen zwischen dem Ministerium für Arbeit und Soziales und dem Ministerium für Gesundheitswesen. In gemeinsamen Arbeitsgruppen werden der Aufbau der neuen Verwaltungsstrukturen und die Angleichung der Rechtsgrundlagen koordiniert.
Im Zuge der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, die am 1. Juli 1990 in Kraft tritt, gerät die neue Krankenversicherung in ein Finanzierungsdefizit. Unter anderem wirkt sich der sprunghafte Anstieg der Arbeitslosenzahl negativ auf das Beitragsvolumen aus. Weitere Gründe für die Liquiditätsprobleme ergeben sich durch Preissteigerungen für Arzneimittel, der Einführung der Mehrwertsteuer und die Anhebung der Pauschalsätze (Honorare) für Ärzte und Zahnärzte. Erschwerend kommt hinzu, dass in den Finanzämtern die Beiträge noch nicht getrennt nach Versicherungszweigen abgeführt werden, was zu wochenlangen Verzögerungen führt, bevor die Beiträge letztlich ankommen. Auch die Beitragsabführung in den Betrieben funktioniert in den Wochen nach der Währungsumstellung noch nicht optimal.
Um die Liquidität der Krankenversicherung zu sichern, stellt der Ministerrat mit dem Beschluss 22/7/90 vom 1. August 1990 zusätzlich hohe Summen aus dem Staatshaushalt bereit. Ohne diese zusätzlichen Finanzmittel könnten im August keine Ausgaben mehr getätigt werden, wie z.B. die Erstattung von ambulanten Leistungen oder Apothekenabrechnungen.
Im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 werden auf dem Gebiet des Gesundheitswesens weitere Rahmenbedingungen und Vorgaben für die Angleichung des DDR-Gesundheitssystems an das System der Bundesrepublik geschaffen. Dazu gehört auch die umstrittene Leistungsvergütung für Ärzte und Zahnärzte in Höhe von 45% des Westniveaus durch die Krankenkassen in den neuen Ländern einschließlich Ost-Berlin, die schließlich in Nachverhandlungen noch einmal angepasst wird. Damit wird dem in den neuen Ländern vorherrschenden geringeren Grundlohnniveau Rechnung getragen. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober wird das geeinte Deutschland in zwei Versorgungsgebiete geteilt.
Das Krankenkassenerrichtungsgesetz und das Krankenkassenvertragsgesetz werden am 13. September 1990 verabschiedet. Auf dieser Grundlage wird mit Wirkung zum 1. Januar 1991 das gegliederte System der Krankenversicherung eingeführt. In seiner Differenzierung nach Kassenarten entspricht das System dem Recht der Bundesrepublik, woraus sich folgende Struktur ergibt:
Allgemeine Ortskrankenkassen mit regionaler Gliederung
Betriebskrankenkassen
Innungskrankenkassen (Handwerk)
Landwirtschaftliche Krankenkassen (Landwirte, Forstwirte, Gärtner, Fluß- und Seenfischer sowie Imker)
34. Volkskammersitzung vom 6. September 1990: Redebeitrag von Gesundheitsminister Kleditzsch über die Errichtungsbeauftragten in den Ländern zum Aufbau der allgemeinen Ortskrankenkassen.
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