Die Reformierung der Wohnungswirtschaft

Für das Jahr 1989 verzeichnet das Statistische Jahrbuch der DDR einen Wohnungsbestand von 7.002.539 Einheiten. Davon entfallen 42% auf volkseigenen Wohnraum, 17% auf Genossenschaftliche Wohnungen und 41% auf privaten Besitz. Der private Wohnungsbestand umfasst vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser im ländlichen Raum sowie Wohngebäude, die vor 1939 errichtet wurden, die sogenannten Altbauten. Da die Mieten für alle Gebäude staatlich festgelegt sind, kann in der DDR mit der Vermietung von privatem Wohnraum nicht nur kein Geld verdient, sondern auch die Bausubstanz nicht in Stand gehalten werden.
Der private Neubau von Eigenheimen wird nur wenig gefördert und ist aufgrund des akuten Baustoffmangels auch nur in wenigen Fällen realisierbar. Eigentumswohnungen existieren in der DDR praktisch nicht, da der Verkauf von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern verboten ist. Aus diesen Gründen gibt es in der DDR keinen freien Wohnungsmarkt. Wer eine Wohnung sucht oder seine Wohnung wechseln möchte, ist auf eine Zuweisung durch das Amt für Wohnungswesen oder gute, informelle Beziehungen angewiesen.
Mit dem politischen Umbruch in der DDR ändert sich die Situation grundlegend. Das Ministerium für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft muss, spätestens nach der Unterzeichnung des Vertrags über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen freien Wohnungsmarkt schaffen. Zudem müssen die Rechtssicherheit für potentielle Investoren garantiert, Privateigentum gefördert, staatliche Subventionen abgebaut sowie der Rahmen für freie Preisbildung gesetzt werden. Ziel der Reform des Wohnungsmarktes ist die allmähliche Überführung der Bestandsmieten in das Vergleichsmietensystem der Bundesrepublik.
Um den Wohnungsmarkt zusätzliche Impulse zu verleihen beschließt das Ministerium die Sanierung, Instandsetzung und den Neubau von Wohnraum mit Hilfe von Subventionierungen zu fördern. Insgesamt werden im 2. Halbjahr 1990 etwa 400 Millionen DM für Förderprogramme bereitgehalten. Auf diesem Weg sollen auch die vorläufigen Beschränkungen im Mietrecht ausgeglichen werden.

Die Eigentumsfrage

Der neue Wohnungs- und Grundstücksmarkt in der DDR ist von der Regelung offener Vermögensfragen in besonderer Weise betroffen. Auf der einen Seite fordern in der Bundesrepublik lebende Eigentümer von Wohnhäusern und Grundstücken die Rückgabe ihres enteigneten oder zwangsweise verkauften Besitzes. Auf der anderen Seite fürchten hunderttausende DDR-Bürgerinnen und -Bürger den Verlust ihrer Wohnhäuser, Wohnungen oder Wochenendgrundstücke.
Bereits seit den 1970er Jahren erörtern Bundesrepublik und DDR mögliche Lösungsvorschläge der sogenannten offenen Vermögensfragen. Doch erst nach dem Antritt der neuen Regierung der DDR im April 1990 kommt es zu Verhandlungen, die Mitte Juni 1990 zu einem Ergebnis führen. Als Verhandlungsführer der Bundesregierung fungiert der Staatssekretär im Bundesministerium für Justiz, Klaus Kinkel. Die Interessen der DDR vertritt der Parlamentarische Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, Günther Krause.
Am 14. Mai 1990 wird dem Ministerrat ein Entwurf zur Abstimmung vorgelegt, dem bei zwei Enthaltungen (Minister der Justiz und Minister der Finanzen) zugestimmt wird. Einen Tag später, am 15. Juni 1990, veröffentlichen beide deutschen Regierungen eine gemeinsame Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen. Die wichtigsten Punkte, die Grundstückseigentümer, Mieter und Vermieter betreffen, sind unter anderem:

  1. Entscheidungen zu Eigentum und Vermögen, die auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage getroffen wurden, bleiben unangetastet.
  2. Verfügungsbeschränkungen über Grundeigentum, Gewerbebetriebe und sonstiges Vermögen werden aufgehoben.
  3. Enteignetes Grundvermögen wird grundsätzlich an den ehemaligen Eigentümer oder ihren Erben zurückgegeben. Es gelten jedoch bestimmte Ausnahmeregelungen. (Grundsatz: Rückgabe vor Entschädigung)
  4. Die Regelungen über die Rückgabe gelten auch für Hausgrundstücke, die aufgrund von ökonomischem Zwang in Volkseigentum übernommen wurden.
  5. Mieterschutz und bestehende Nutzungsrechte an Grundstücken und Gebäuden bleiben wie bisher gewahrt und regeln sich nach dem geltenden Recht der DDR.

Zudem verpflichtet sich die DDR mit Unterzeichnung der Erklärung, innerhalb der nächsten sechs Monate keine Verkäufe von Grundstücken und Gebäuden zuzulassen, bei denen die Eigentumsrechte ungeklärt sind. Zudem werden alle ab dem 18. Oktober 1989 getätigten Grundstücksgeschäfte überprüft, bei denen Zweifel an den Eigentumsrechten bestanden haben.

Axel Viehweger erklärt die Auswirkungen des Prinzips "Rückgabe vor Entschädigung" auf den Wohnungs- und Häusermarkt der DDR.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Wohnraumlenkungsverordnung und Belegungsrechte

Mit der Inkraftsetzung der allgemeinen Kommunalverfassung am 17. Mai 1990 wird die sogenannte Wohnraumlenkungsverordnung aufgehoben. Mit der Verordnung hatten die DDR-Behörden jahrzehntelang die Zuweisung fast des gesamten Wohnraums kontrolliert. Demnach entschied ein dreistufiges Prioritätensystem, bestehend aus sozialer Dringlichkeit (kinderreiche Familien, junge Ehepaare), volkswirtschaftlichen Erwägungen (Hochschulabsolventen, Facharbeiter) und gesellschaftlichen Verdiensten, bis 1989 über die Vergabe einer Wohnung. Mit der Aufhebung der Wohnraumlenkungsverordnung sollen die Kommunen zukünftig eigenverantwortlich über die Vergabe von Wohnraum entscheiden.
Zugleich erfolgt eine Anpassung des sogenannten Belegungsrechtes, das die Zweckbestimmung von staatlich finanzierten Sozialwohnungen sichern soll. Explizit ausgenommen sind davon private Eigentümer. Ziel der Umstellungen ist einerseits die Beibehaltung der kommunalen Wohnraumbestände für Menschen mit wenig Einkommen und andererseits die Förderung eines freien Wohnungsmarktes.

Staatssekretär Franz-Josef Glotzbach begründet in der 23. Sitzung der Volkskammer am 12. Juli 1990 das Gesetz zur Aufhebung der Wohnraumlenkung in der 1. Lesung.

Deutscher Bundestag

Auf der 27. Tagung der Volkskammer am 22. Juli 1990 wird eine leicht abgeänderte Fassung des Gesetzes vorgestellt. Entgegen des ursprünglichen Entwurfs heißt das Gesetz nun „Gesetz über die Gewährleistung von Belegungsrechten im kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungswesen.“ Mit dieser Namensänderung soll explizit auf die Entscheidungsfreiheit von privaten Wohnungseignern aufmerksam gemacht werden. Nach einer kurzen Diskussion wird das Gesetz mit wenigen Enthaltungen und Gegenstimmen angenommen.

Anpassung der Mieten

Als weiteren Schritt zur Einführung eines freien Wohnungsmarktes leitet Minister Viehweger bereits im April 1990 eine dreistufige Anpassung der Mieten im preisgebundenen Wohnungsbestand ein. Alle bis zum 1. Oktober 1990 umfassend modernisierten oder neu errichteten Wohnungen und Häuser sind von dieser Regelung ausgenommen. Bei diesen Beständen können innerhalb der gesetzlichen Grenzen (Mietpreisüberhöhung) die Mieten frei vereinbart werden.

Beitrag der DDR-Fernsehsendung „Aktuelle Kamera“ zur Erhöhung der Mieten auf dem Gebiet der DDR vom 24. April 1990.

Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

Axel Viehweger beschreibt die Herausforderungen bei der Anpassung der Mieten und der Reformierung der Wohnungswirtschaft der DDR.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Am 10. August 1990 berichtet die DDR-Fernsehsendung "Aktuelle Kamera" über die Zusicherung von Bürgschaften der Bundesrepublik für den Wohnungsneubau in der DDR.

Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

Demonstration gegen Mieterhöhungen am 4. August 1990 in Ost-Berlin. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0805-303, Fotograf: Bernd Settnik
Demonstration gegen Mieterhöhungen am 4. August 1990 in Ost-Berlin. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0805-303, Fotograf: Bernd Settnik

Alle Regelungen zur Planung der Mietpreisentwicklung werden im Rahmen von Konsultationen einer Arbeitsgruppe der Bauministerien der DDR und der Bundesrepublik entwickelt. Die Ergebnisse fasst diese AG in einem Arbeitspapier mit dem Titel „Alternativen und Vorschläge für die Entscheidungen zum Wohnungswesen und zur Städtebauförderung“ zusammen. Bei den Gesetzgebungsverfahren im Bereich Wohnungswirtschaft, Städtebau und Bauwesen dienen die Vereinbarungen als inhaltlicher Leitfaden.

Um Rechtssicherheit und eine möglichst sozialverträgliche Mietpreisentwicklung in den neuen Bundesländern zu gewährleisten, wird im Einigungsvertrag eine Regelung zur schrittweisen Anpassung der ostdeutschen Mieten unter Berücksichtigung der Einkommensentwicklung vereinbart. Hierfür werden in § 11 des Miethöhegesetzes (MHG) einige Regelungen und eine Absichtserklärung der Bundesregierung eingefügt. Diese sieht folgende Schritte vor:

  • Erhöhung der Grundmieten zum 1. Oktober 1990
  • Differenzierung der Mietpreise nach Ausstattungsmerkmalen und baulicher Beschaffenheit
  • Einführung von Modernisierungszuschlägen auch für preisgebundenen Wohnraum
  • Ermächtigung der Bundesregierung zur schrittweisen Anpassung der Mieten
  • Einführung einer Instandsetzungsumlage
  • Anpassung der preisgebundenen Mieten nur im Rahmen von Einkommenserhöhungen

Um ostdeutsche Mieter zusätzlich zu schützen, enthalten die Regelungen einige Einschränkungen, die vor allem den Kündigungsschutz wegen Eigenbedarf oder wegen angemessener wirtschaftlicher Verwertung umfassen. Damit soll verhindert werden, dass Mieter ausziehen müssen, wenn Eigentümer ihre Ansprüche durchsetzen wollen. Während diese Regelungen besonders auf bestehende Mietverhältnisse abzielen, gilt für den freifinanzierten Wohnungsbau das Vergleichsmietenprinzip. Das bedeutet Mieten dürfen nur im Rahmen des örtlichen Mietspiegels erhöht werden. Um Sanierungsmaßnahmen zu fördern, wird festgelegt, dass bei Modernisierungen 11% der Kosten jährlich auf die Miete umgelegt werden können.
In den folgenden Jahren werden die Mieten durch die erste und zweite Grundmietenverordnung (GrundMV) sukzessive an das Vergleichsmietensystem angepasst. Mitte 1995 beschließt die Bundesregierung das sogenannte Mietenüberleitungsgesetz, das die Anpassung des preisgebundenen Wohnraums in den neuen Bundesländern an das allgemeine Miethöherecht vorsieht. Seit dem 1. Januar 1998 gilt im gesamten Bundesgebiet das Vergleichsmietensystem.

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