Familienpolitik bedeutet in der DDR bis in die 1980er Jahre hinein in erster Linie Frauen- bzw. Familienförderungspolitik. Ihr Ziel ist es, den Frauen die Erwerbstätigkeit und die Sozialisierung der Kinder durch die Gesellschaft zu ermöglichen. Zu diesem Zweck werden spezielle Familienfördermaßnahmen realisiert, wie
kontinuierlicher Ausbau der staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen
Geburtsbeihilfen, Kindergeld und Krediterlasse nach der Geburt von Kindern
Babyjahr bei vollem Lohnausgleich
Pflegeurlaub bzw. Freistellung bei Erkrankung des Kindes
40-Stunden-Woche für Mütter, gelegentlich wird auch Teilzeitarbeit (32h) genehmigt
Doch die Familienpolitik stellt das Rollenverständnis der Männer und Frauen nicht infrage und mutet den Frauen eine enorme Doppelbelastung sowie mangelnde Chancengleichheit in Beruf und Gesellschaft zu. Hier setzt die neue Familienpolitik von Ministerin Christa Schmidt an: Die Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollen nicht mehr allein auf Frauen zugeschnitten sein, sondern künftig sowohl für Frauen als auch für Männer gelten. Zugleich sollen mehr Möglichkeiten für Teilzeitarbeit und andere flexible Arbeitszeitmodelle geschaffen werden. Damit sollen Eltern in die Lage versetzt werden, über die Art der Kindererziehung frei entscheiden zu können. Das heißt insbesondere für die Frauen, dass ihnen die Entscheidung obliegt, inwieweit sie einem Beruf nachgehen oder wie lange sie bei der Familie bleiben wollen. Dies soll nicht mehr von gesellschaftlichen Zwängen bestimmt werden. Die von Ministerin Schmidt vertretene Familienpolitik will einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel befördern, der ein neues Verständnis für die Rollen- und Lastenverteilungen innerhalb von Familie, Partnerschaft und Kindererziehung hervorbringt.
Der wirtschaftliche Umbruch und seine Folgen stellen jedoch eine große Herausforderung für die Umsetzung der neuen Pläne dar. Das Ministerium für Familie und Frauen bringt sich bei der Ausarbeitung vieler Gesetze mit ein, in denen familien- und frauenpolitische Komponenten zu berücksichtigen und miteinander in Einklang zu bringen sind. Das gilt insbesondere für die neuen Steuer-, Arbeits- und Sozialgesetze, die im Zusammenhang mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion auf den Weg gebracht werden. So setzt sich das MfFF bei der Erneuerung des Kündigungsschutzes dafür ein, dass Frauen, alleinerziehende Mütter, kinderreiche Familien sowie Familien mit Behinderten besonders berücksichtigt werden. Weiterhin wird an einem neuen Konzept für die wirtschaftliche und soziale Sicherung von Familien gearbeitet. Das umfasst unter anderem die Reform der Mutterunterstützung, die in ein Erziehungsgeld umgewandelt wird, das von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden kann. Mit der Einführung des Bundeseinkommenssteuergesetzes wird zudem die Übernahme des Familienlastenausgleichs nach bundesdeutschem Vorbild eingeleitet. Zum Familienlastenausgleich gehört unter anderem die Berücksichtigung des staatlichen Kindergeldes in Form eines Freibetrags in der Steuererklärung. Diese steuerliche Erleichterung über den Kindergeldfreibetrag greift jedoch für viele DDR-Bürger nicht, weil sie aufgrund von Arbeitslosigkeit oder niedrigen Löhnen im zweiten Halbjahr 1990 überhaupt keine Lohnsteuer zahlen. Daher wird im Juli 1990 eine Ausgleichszahlung zum staatlichen Kindergeld in Höhe von 25 DM je Kind und Monat für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1990 beschlossen. Diese Ausgleichszahlung kann nach Antragstellung jenen Familien gewährt werden, in denen nur ein Elternteil lohnsteuerpflichtiges Einkommen hat. Die Regelung gilt also nicht nur für Familien, in denen ein Elternteil von Arbeitslosigkeit betroffen ist, sondern auch für Alleinerziehende und Witwen. Ende August 1990 wird außerdem in einer Verordnung festgelegt, dass künftig die Arbeitsämter für die Auszahlung des Kindergeldes zuständig sind, womit eine Angleichung an die bundesrepublikanische Praxis erreicht wird.
Zu den weiteren Schwerpunkten der Familienpolitik zählt der Erhalt der Kinderbetreuungseinrichtungen, wobei die Qualität der Einrichtungen verbessert und die Einrichtungen in neue Strukturen überführt werden sollen. Außerdem soll die Altenbetreuung grundlegend verbessert werden. Hier gilt es zum einen, die Bedingungen in den Pflege- und Altenheimen sowie die materielle Unterstützung bei der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger zu verbessern. Zum anderen sollen Sozialstationen als Anlaufstellen für ältere Menschen eingerichtet werden. Zu diesem Zweck führt das Ministerium Gespräche mit der Volkssolidarität, die seit langem republikweit in der Altenfürsorge aktiv ist.
Gesetz zur Änderung des Familiengesetzbuches der DDR
Auch die Novellierung des Familiengesetzbuches (FGB) ist für die Familienpolitik von zentraler Bedeutung. Das 1965 in der DDR eingeführte FGB enthält sämtliche Regelungen zur Rolle, den Rechten und Pflichten der Familie in der „sozialistischen Gesellschaft“. Im Zuge der Angleichung beider deutscher Rechtsordnungen auf dem Gebiet des Familienrechts erarbeitet das Justizministerium in Abstimmung mit dem Ministerium für Familie und Frauen einen Gesetzentwurf zur Änderung des FGB der DDR. Es wird im Juni 1990 in erster Lesung von der Volkskammer diskutiert und anschließend in den Rechtsausschuss sowie die Ausschüsse für Familie und Frauen, Arbeit und Soziales sowie Jugend und Sport überwiesen. Einen Monat später, am 20. Juli 1990, wird die überarbeitete Version des Gesetzes zur Änderung des Familiengesetzbuches der DDR vom Parlament angenommen.
Zu den wesentlichen Änderungen gehören die ersatzlose Streichung der Präambel sowie die Tilgung von ideologischem Ballast. Das heißt, insbesondere das Wort „sozialistisch“ ist in allen Bezügen, die im Gesetz anzutreffen sind, entfernt worden. Inhaltlich enthält das Gesetz wichtige Neuerungen auf den Gebieten:
rechtliche Gleichstellung von eheähnlichen Gemeinschaften und Ehen sowie Gleichstellung von ehelich und außerehelich geborenen Kindern
Das 1. Familienrechtsänderungsgesetz zielt darauf, das in der DDR gültige Familienrecht an die mit dem Einigungsprozess absehbaren Veränderungen der gesellschaftlichen Bedingungen für die Familien anzupassen. Dabei sollen die bereits vorhandenen progressiven Regelungen möglichst erhalten bleiben. Doch das Gesetz hat keine Chance, sich in der Praxis zu bewähren. Vor seinem planmäßigen Inkrafttreten am 1. Oktober 1990 wird es durch den Abschluss des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 wieder aufgehoben. Die Anlage zum Einigungsvertrag enthält die wesentlichen Änderungen im Familienrecht, welche auch das eheliche Güterrecht und einen Versorgungsausgleich im Falle einer Scheidung umfassen. Die Übernahme des konservativen Scheidungsrechts der Bundesrepublik bringt einen Vorteil mit sich: Ein Versorgungsanspruch tritt wieder ein, was denjenigen Frauen entgegenkommt, die aufgrund der wirtschaftlichen Reformen besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind.
Weitere Regelungen im Einigungsvertrag
Im Einigungsvertrag ist weiterhin die Übernahme des Bundeskindergeldgesetzes und des Bundeserziehungsgeldgesetzes unter Berücksichtigung entsprechender Übergangsregelungen festgeschrieben. Unter dem Aspekt der Gleichberechtigung widmet sich Artikel 31 des Einigungsvertrages dem Thema Familie und Frauen. Er beinhaltet die allgemein formulierte Aufgabe, dass der gesamtdeutsche Gesetzgeber „die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen weiterzuentwickeln“ und „die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten“ habe. Darüber hinaus legt Artikel 31 fest, dass sich der Bund für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 1991 an den Kosten der Einrichtung zur Tagesbetreuung von Kindern beteiligt, um die Weiterführung dieser Einrichtungen zu gewährleisten.
Im Streit um den Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch wird im Einigungsvertrag keine endgültige Entscheidung gefällt, sondern der Kompromiss vereinbart, dass die bisherigen Regelungen in Ost und West weiter gelten. Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Bundestages, bis zum 31. Dezember 1992 neue Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch auszuhandeln. Darüber hinaus einigt man sich darauf, auf dem Gebiet der DDR ein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen für schwangere Frauen aufzubauen.
Auch die Unterstützung junger Mütter wird erheblich verbessert. In einem Pilotprojekt wird im September 1990 im Ostberliner Stadtbezirk Hohenschönhausen das erste Mütterhaus der DDR eingeweiht. In dem sozialpsychologischen Zentrum werden insbesondere minderjährige Mütter mit ihren Kindern sowie sozial gefährdete Frauen und Schwangere betreut. Die Ministerin für Familie und Frauen, Christa Schmidt (r.) nimmt an der Eröffnung teil.
Bundesarchiv, Bild 183-1990-0911-027, Fotograf: Klaus Franke
Blick ins Spielzimmer des ersten Mütterhauses, das im September 1990 im Ostberliner Stadtbezirk Hohenschönhausen öffnet.
Seit Juni 1990 wird an der Einrichtung des Mütterhauses in Berlin-Hohenschönhausen gearbeitet. Die Räumlichkeiten befinden sich im 8. Stock eines Wohnheimes des ehemaligen Amtes für Nationale Sicherheit. Für die medizinische und psychologische Betreuung ist das Fachkrankenhaus Herzberge zuständig.
Bundesarchiv, Bild 183-1990-0625-309, Fotograf: Klaus Franke
Auch die Unterstützung junger Mütter wird erheblich verbessert. In einem Pilotprojekt wird im September 1990 im Ostberliner Stadtbezirk Hohenschönhausen das erste Mütterhaus der DDR eingeweiht. In dem sozialpsychologischen Zentrum werden insbesondere minderjährige Mütter mit ihren Kindern sowie sozial gefährdete Frauen und Schwangere betreut. Die Ministerin für Familie und Frauen, Christa Schmidt (r.) nimmt an der Eröffnung teil.
Bundesarchiv, Bild 183-1990-0911-027, Fotograf: Klaus Franke
Blick ins Spielzimmer des ersten Mütterhauses, das im September 1990 im Ostberliner Stadtbezirk Hohenschönhausen öffnet.
Seit Juni 1990 wird an der Einrichtung des Mütterhauses in Berlin-Hohenschönhausen gearbeitet. Die Räumlichkeiten befinden sich im 8. Stock eines Wohnheimes des ehemaligen Amtes für Nationale Sicherheit. Für die medizinische und psychologische Betreuung ist das Fachkrankenhaus Herzberge zuständig.
Bundesarchiv, Bild 183-1990-0625-309, Fotograf: Klaus Franke
Schliessen
Begründung des Gesetzentwurfes zum 1. Familienrechtsänderungsgesetzes durch Staatssekretär Nissel aus dem Justizministerium am 28. Juni 1990 in der Volkskammer.
Deutscher Bundestag
Beitrag über die Eröffnung des ersten Mütterhauses in Berlin-Hohenschönhausen aus der Sendung Aktuelle Kamera vom 11. September 1990.
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