Treuhandgesetz und Treuhandanstalt

Bereits am 1. März 1990 beschließt der Ministerrat der Regierung Modrow die Gründung einer Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt/THA). Gemeinsam mit dem Beschluss tritt eine Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften in Kraft.

Vorschaubild Ministerratsbeschluss zur Gründung der Treuhandanstalt und seiner Verordnungen vom 1. März 1990. Quelle: Bundesarchiv, DC 20-I/3/2922
Ministerratsbeschluss

Ministerratsbeschluss zur Gründung der Treuhandanstalt und seiner Verordnungen vom 1. März 1990

Quelle: BArch, DC 20-I/3/2922
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Die Verordnung sieht vor, Betriebe in Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) oder Aktiengesellschaften (AG) umzuwandeln. Als Eigentümer fungiert die Treuhandanstalt, jedoch ohne Befugnisse zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Unternehmen. Kurz vor den Volkskammerwahlen am 18. März 1990 beschließt der Ministerrat das Statut der Treuhandanstalt, das die Aufgaben, die Zusammensetzung des Direktoriums und des Verwaltungsrates sowie die Kontrolle der Treuhandanstalt durch die Volkskammer festlegt.

Das am 15. März 1990 vom Ministerrat beschlossene Statut beinhaltet eine Grobstruktur der Treuhandanstalt, die im Wesentlichen die Bildung eines Direktoriums und eines Verwaltungsrates vorsieht. In das erste Direktorium werden vier Personen berufen:

  1. Peter Moreth: Vorsitzender des Direktoriums (15. März 1990 bis 15. Juli 1990)
  2. Wolfram Krause: Stellvertretender Vorsitzender (15. März 1990 bis 15. Juli 1990)
  3. Paul Liehmann: Direktor (15. März 1990 bis 15. Juli 1990)
  4. Siegfried Zeißig: Direktor (15. März 1990 bis 15. Juli 1990)

Ein Verwaltungsrat wird vorerst nicht berufen, wodurch das Direktorium in der Anfangsphase keiner Kontrolle unterliegt. Spätere Versuche der Fraktionen von Bündnis 90/Grüne und SPD, einen Kontrollausschuss der Volkskammer einzusetzen, scheitern.

Berlin, Unter den Linden, Aussenhandelsministerium. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-D0726-0010-001, Fotograf: Joachim Spremberg
Ihren ersten Sitz hat die Treuhandanstalt im Gebäude des im April 1990 aufgelösten Ministeriums für Außenwirtschaft Unter den Linden. Am 1. Juli 1990 zieht die Treuhandanstalt in das Haus der Elektrotechnik am Alexanderplatz um. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-D0726-0010-001, Fotograf: Joachim Spremberg

Nach anfänglichen Konflikten zwischen dem Minister für Finanzen, Walter Romberg, und dem Minister für Wirtschaft, Gerhard Pohl, über die Ressortzugehörigkeit der Treuhandanstalt, übernimmt Lothar de Maizière das Amt in seinen Geschäftsbereich. Formal ist die Treuhandanstalt der Aufsicht des Ministers im Amt des Ministerpräsidenten, Klaus Reichenbach, unterstellt. Die Erarbeitung und Umsetzung der wirtschaftlichen Reformen erfolgt jedoch in enger Kooperation mit den zuständigen Ministerien.

In seiner Regierungserklärung vom 19. April 1990 geht Lothar de Maizière auf die wirtschaftspolitischen Zielstellungen seiner Regierung und die Rolle der Treuhandanstalt bei deren Umsetzung ein. Die Hauptaufgabe der Treuhandanstalt sieht er in der Überführung der volkseigenen Betriebe in marktwirtschaftsadäquate Rechtsformen.

 

Die Treuhandanstalt bis Juli 1990

Ein bis Juli 1990 festgelegter Stellenplan für die Treuhandanstalt umfasst 143 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit Hilfe von 15 neu eingerichteten Außenstellen im gesamten Gebiet der DDR sollen bis zum Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs-und Sozialunion etwa 8.000 Kombinate und volkseigene Betriebe in Kapitalgesellschaften umgewandelt werden. Hierfür müssen die Betriebe eine Umwandlungserklärung abgeben. Darin wird das Vermögen auf die neu gegründete GmbH bzw. AG übertragen und die Rechtsträgerschaft am Grund und Boden des Betriebes an die Treuhandanstalt übergeben.

Die Abstimmung über das formale Vorgehen beim Umwandlungsprozess, die Bewertung der Unternehmen und die Festlegung der Kreditwürdigkeit erfolgt sowohl mit dem Ministerium für Finanzen, als auch mit dem Ministerium für Wirtschaft.

Trotz intensiver Bemühungen sind bis zum 30. April 1990 lediglich 75 von 8.000 Betrieben umgewandelt. Parallel führt die Treuhandanstalt eine Einschätzung der Wettbewerbsfähigkeit durch, in der am 23. Mai 1990 2.200 Unternehmen erfasst sind:

  • 683 Unternehmen sind auch nach der Umstellung auf die DM ohne Fördermittel rentabel
  • 920 Unternehmen sind sanierungsfähig, werden aber vermutlich mit Verlust weiter arbeiten können
  • 597 Unternehmen sind konkursgefährdet

Gerhard Pohl berichtet von den internen Auseinandersetzung bei der Einrichtung der Treuhandanstalt und der Neufassung des Treuhandgesetzes.

Quelle: Heimatfilm GbR, 2009

Der ehemalige Staatssekretär im Ministerium für Finanzen, Walter Siegert, berichtet von den Problemen der Volkseigenen Betriebe im Jahr 1990.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Martin Dube, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, zur Treuhandanstalt.

© "Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Das Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)

Kurz nach Abschluss des ersten Staatsvertrages am 18. Mai 1990 über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion beginnen die Verhandlungen über eine Neufassung der Verordnungen und des Statuts der Treuhandanstalt.

Eine sechsköpfige Arbeitsgruppe beim Amt des Ministerpräsidenten erarbeitet eine erste Gesetzesvorlage für eine Neufassung des „Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)“. Zu den Mitgliedern gehören:

  • Ludwig Penig (Büro des Ministerpräsidenten)
  • Thomas de Maizière (Berater der Bundesregierung beim Amt des Ministerpräsidenten der DDR)
  • Fritz Holzwart (Berater der Bundesregierung beim Amt des Ministerpräsidenten der DDR)
  • Günther Krause (Parlamentarischer Staatssekretär beim Ministerpräsidenten)
  • Wolfram Krause (Stellvertretender Vorsitzender der Treuhandanstalt)
  • Stephan Supranowitz (Leiter des Amts für Rechtsschutz des Vermögens der DDR)
BArch, DC 20 / 6367
Bericht von Gerhard Pohl

Bericht von Gerhard Pohl über das Treffen einer Expertenrunde im Ministerium für Wirtschaft zur Beratung über das Statut der Treuhand vom 28. Mai 1990.

Quelle: BArch, DC 20 / 6367, pag. 17-24
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Am 30. Mai 1990 wird der Gesetzesentwurf zur Abstimmung mit den Ministerien für Finanzen, Wirtschaft und Justiz freigegeben, bevor am 6. Juni 1990 eine Debatte im Ministerrat stattfindet.

Berlin, Kabinettsrunde, Gerhard Pohl. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0530-009, Fotograf: Thomas Uhlemann

Der Minister für Wirtschaft Gerhard Pohl nach einer Sitzung des Ministerrates am 30. Mai 1990.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0530-009, Fotograf: Thomas Uhlemann
Cottbus, Gerhard Pohl. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0702-020, Fotograf: Rainer Weißflog

Wirtschaftsminister Gerhard Pohl (l.) am 2. Juli 1990 im Gespräch mit Arbeiterinnen und Arbeitern der Gubener Chemiefaser GmbH. Nach der Umwandlung des Betriebes befürchtet die Belegschaft Massenentlassungen.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0702-020, Fotograf: Rainer Weißflog
Berlin, Gerhard Pohl. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0808-014, Fotograf: Thomas Uhlemann

Gerhard Pohl am 8. August 1990 nach einer Sitzung des Ministerrates. Eine Woche später tritt er von seinem Amt zurück.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0808-014, Fotograf: Thomas Uhlemann
Berlin, Kabinettsrunde, Gerhard Pohl. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0530-009, Fotograf: Thomas Uhlemann

Der Minister für Wirtschaft Gerhard Pohl nach einer Sitzung des Ministerrates am 30. Mai 1990.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0530-009, Fotograf: Thomas Uhlemann
Cottbus, Gerhard Pohl. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0702-020, Fotograf: Rainer Weißflog

Wirtschaftsminister Gerhard Pohl (l.) am 2. Juli 1990 im Gespräch mit Arbeiterinnen und Arbeitern der Gubener Chemiefaser GmbH. Nach der Umwandlung des Betriebes befürchtet die Belegschaft Massenentlassungen.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0702-020, Fotograf: Rainer Weißflog
Berlin, Gerhard Pohl. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0808-014, Fotograf: Thomas Uhlemann

Gerhard Pohl am 8. August 1990 nach einer Sitzung des Ministerrates. Eine Woche später tritt er von seinem Amt zurück.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0808-014, Fotograf: Thomas Uhlemann
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Vorschaubild Beschluss des Ministerrates über den Entwurf des Treuhandgesetzes. Quelle: BArch, DC 20 – I/3/2979
Beschluss des Ministerrates über den Entwurf des Treuhandgesetzes

Einen Tag später, am 7. Juni 1990, wird der Gesetzesentwurf in der ersten Lesung in der 11. Volkskammersitzung vorgestellt. Die Begründung erfolgt durch Klaus Reichenbach.

Quelle: BArch, DC 20 – I/3/2979
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Der Minister im Amt des Ministerpräsidenten, Klaus Reichenbach, begründet den Entwurf des Treuhandgesetzes in der 11. Volkskammersitzung am 7. Juni 1990.

Deutscher Bundestag

Bei den Abgeordneten der Volkskammer stößt vor allem die kurze Beratungszeit über den Gesetzentwurf auf Unverständnis. Nach einer hitzigen Debatte wird der Entwurf an verschiedene Ausschüsse der Volkskammer überwiesen, federführend ist der Wirtschaftsausschuss. In seinem Gutachten über den Entwurf des Treuhandgesetzes kritisiert der Wirtschaftsausschuss unter anderem, dass das Parlament nicht in die Erarbeitung der ersten Vorlage einbezogen wurde. Nach zehntägiger Überarbeitungszeit präsentiert der Wirtschaftsausschuss schließlich einen neuen Entwurf des Gesetzes, der in der zweiten Lesung in der Volkskammer am 15. Juni 1990 kontrovers diskutiert wird. Besondere Streitpunkte sind:

  • Ausgabe von Anteilsscheinen an den Volkseigenen Betrieben an die Bevölkerung der DDR oder vollständige Übertragung der Unternehmen an die Treuhandanstalt
  • Zentrale oder länderorientierte Organisation
  • Parlamentarische Kontrolle der Treuhandanstalt
  • Verwendung der volkseigenen Vermögen nach der deutschen Einheit

In der zweiten Lesung der überarbeiteten Version des Treuhandgesetzes äußert sich der Minister für Wirtschaft Gerhard Pohl. Er wirbt für die Annahme des Gesetzes, um die notwendigen Voraussetzungen für das Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 zu schaffen.

Deutscher Bundestag

Martin Dube, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, zum Treuhandgesetz.

© "Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Nach nur einem Tag Bearbeitungszeit präsentiert der Wirtschaftsausschuss auf einer Sondersitzung der Volkskammer am Sonntag, dem 17. Juni 1990, die finale Beschlussempfehlung über das Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens.

Mit einer Abstimmung per Handzeichen wird das Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens von der Volkskammer bestätigt. Die zentralen Vorhaben des Gesetzes sind in der Präambel zusammengefasst:

  • Möglichst schnelle und weite Reduktion der unternehmerischen Tätigkeit des Staates
  • Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit möglichst vieler Unternehmen bei gleichzeitiger Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen
  • Bereitstellung von Grund und Boden für wirtschaftliche Zwecke
  • Nutzung des volkseigenen Vermögens für wirtschaftliche Strukturanpassungen und Sanierung des Haushalts
  • Einräumung eines Anteilsrechts am eventuell verbleibenden volkseigenen Vermögen für Bürgerinnen und -Bürger der DDR nach Abzug der Anpassungs- und Sanierungskosten

Das Gesetz tritt gemeinsam mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion am 1. Juli 1990 in Kraft.

Vorschaubild Gesetzblatt_1990_I_33_02_Treuhandgesetz. Quelle: GBl. I 1990, Nr. 33, S. 301-303.
Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens.
Quelle: GBl. I 1990, Nr. 33, S. 301-303.
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Klaus Reichenbach, Minister im Amt des Ministerpräsidenten, berichtet von den Herausforderungen bei Umwandlung und Verkauf von DDR-Betrieben.

Heimatfilm GbR, 2009

Lothar de Maizière zur wirtschaftlichen Situation der DDR, die Abwicklung der Betriebe und den Verlust von Arbeitsstellen.

Heimatfilm GbR, 2009

Dem Inkrafttreten des Gesetzes folgen Debatten über die Verabschiedung eines neuen Status der Treuhandanstalt sowie über die Zusammensetzung des Verwaltungsrates und die Besetzung der Geschäftsführung. Zum Präsidenten der neuen Treuhandanstalt wird Reiner Maria Gohlke ernannt, der am 1. September 1990 von Detlev Karsten Rohwedder abgelöst wird.

Am 16. Juli 1990 konstituiert sich die neue Treuhand als Anstalt öffentlichen Rechts. Entsprechend der novellierten Gesetzesgrundlage wird die Treuhandanstalt dem Ministerrat der DDR und nach dem 3. Oktober 1990 dem Bundesfinanzministerium unterstellt. Neben der Änderung der Kontrollbefugnisse gestattet die Neuregelung nun auch Eingriffe der Treuhandanstalt in die Geschäftsführung der Unternehmen. Bis zum 2. Oktober 1990 erlässt die Volkskammer noch fünf sogenannte Durchführungsverordnungen (DVO), die unterschiedliche Aspekte der Arbeit der Treuhandanstalt regeln:

  1. Struktur und Aufgaben der Treuhandaktiengesellschaften
  2. Privatisierung ausgesonderten Militärvermögens
  3. Volkseigenes Vermögen der Land- und Forstwirtschaft
  4. Vermögen und Liegenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit
  5. Verordnung über die von Wirtschaftseinheiten genutzten Grundstücke

Lothar de Maizière berichtet von der Entwicklung und den Aufgaben der Treuhandanstalt.

Heimatfilm GbR, 2009

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