Umstrukturierung der Landwirtschaft

Die Landwirtschaftliche Produktion der DDR ist bis 1989 fester Bestandteil der zentralistischen Planwirtschaft. Der Staat gibt die Produktionsmengen vor und garantiert den Erzeugern die Abnahme ihrer Produkte zu festgeschriebenen Preisen.

Die landwirtschaftlichen Betriebe sind in hohem Maße genossenschaftlich organisiert. Dadurch können riesige zusammenhängende Flächen bewirtschaftet werden. Im Zuge der DDR-Agrarpolitik in den 1960er und 1970er Jahren schließen sich kleinere LPG zu Großbetrieben zusammen und die Industrialisierung der Landwirtschaft wird vorangetrieben. Zudem spezialisieren sich die Genossenschaften entweder auf die Pflanzen- oder auf die Tierproduktion. Für das Jahr 1989 verzeichnet das Statistische Jahrbuch der DDR:

  • 3.844 Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften,
  • 464 Volkseigene Güter (VEG; landwirtschaftliche Großbetriebe insbesondere für Saatgutwirtschaft, Pflanzen- und Tierzüchtung),
  • 199 Gärtnerische Produktionsgenossenschaften und
  • 223 weitere Produktionsgenossenschaften bzw. kooperative Einrichtungen und staatliche Genossenschaften.

Die LPG allein bewirtschaften rund 87% der landwirtschaftlichen Nutzfläche und halten ca. 75% der Tierbestände. Diese Großbetriebe verursachen erhebliche Umweltschäden, beispielsweise durch Überdüngung, ungeklärte Abwässer und Folgen der Massentierhaltung. Die tägliche Arbeit in den Genossenschaften ist in den 1980er Jahren von großen Problemen geprägt: Es fehlt an moderner Technik und Ersatzteilen für Maschinen, viele Ställe und Gebäude sind marode. Die Mehrzahl der LPG wirtschaftet unter diesen Bedingungen nicht ökonomisch effizient.

Der neue Landwirtschaftsminister Peter Pollack steht unter enormem Druck, da ein radikaler Umbau der gesamten Landwirtschaft notwendig ist. Die Agrarstruktur muss neu gestaltet, die maroden Betriebe modernisiert und wettbewerbsfähig gemacht sowie die Trennung der Tier- und Pflanzenproduktion aufgehoben werden. Zudem müssen die Produktionsmengen an die Marktordnungen der EG angepasst werden, was nur über den Abbau von Kapazitäten und Arbeitsplätzen erfolgen kann. Auch die Produktionsbedingungen müssen künftig den Hygiene-, Umwelt- und Tierschutzstandards der EG-Regelungen entsprechen. Darüber hinaus müssen sich die Landwirtschaftsbetriebe selbst verstärkt um die Vermarktung ihrer Erzeugnisse bemühen, um wenigstens teilweise von der verarbeitenden Lebensmittelindustrie und dem Handel unabhängig zu sein.

Das Landwirtschaftsanpassungsgesetz

Die entscheidende Rechtsgrundlage zur Schaffung einer neuer Agrarstruktur bildet das „Gesetz über die strukturelle Anpassung der Landwirtschaft an die soziale und ökologische Marktwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik“ (Landwirtschaftsanpassungsgesetz), das am 29. Juni 1990 verabschiedet wird. Mit ihm werden Grundsätze zur Umstrukturierung, Klärung von Eigentumsverhältnissen und Vermögensaufteilung festgelegt. Es ermöglicht sowohl die Umwandlung der LPG in eingetragene Genossenschaften oder Aktiengesellschaften, als auch die Wiedereinrichtung eines bäuerlichen Familienbetriebes für diejenigen, die ihr Eigentum aus der LPG selbst bestellen wollen. Die Idee ist, eine vielfältige Agrarstruktur zu schaffen, in der Genossenschaften, Kapitalgesellschaften, Gesellschaften bürgerlichen Rechts und Familienbetriebe gleichberechtigt nebeneinander existieren. Als Frist für die Umwandlung der Betriebe in neue Rechtsformen wird der 31. Dezember 1991 festgesetzt. In diesem Zusammenhang ist die Klärung der Eigentumsverhältnisse von Boden und Inventar (Produktionsmittel) von zentraler Bedeutung. Das Gesetz räumt den Mitgliederversammlungen der LPG hier weitgehende Rechte bei der Festlegung der Eigentumsverhältnisse ein. Das führt in der Praxis allerdings aus verschiedenen Gründen zu heftigen Interessenskonflikten, einem Ungleichgewicht in der Vermögensaufteilung und zu Benachteiligungen von Genossenschaftsmitgliedern. Ein erhebliches Konfliktpotential entwickelt sich insbesondere bei der Neubewertung des genossenschaftlichen Vermögens. Aufgrund der schwerwiegenden Absatzprobleme in der Umbruchphase und fehlender Bewertungsmaßstäbe fällt die Neubewertung in der „DM-Eröffnungsbilanz“ von LPG zu LPG sehr unterschiedlich aus. So kommt es vor, dass manche LPG-Vermögen nicht ausreichen, um die Mitglieder anteilsmäßig auszuzahlen. In einigen Fällen werden die Bilanzen auch bewusst gefälscht.

Mit der Reorganisation des volkseigenen Vermögens und der Verwertung der Grundstücke in der Land- und Forstwirtschaft wird die Treuhand beauftragt. Dort wird ein eigener Bereich eingerichtet, dessen Arbeitsfähigkeit bis 30. September 1990 hergestellt sein soll. Erst dann können die Eigentumsverhältnisse rechtlich endgültig geklärt und Grundstücksverkäufe durchgeführt werden. Daher wird das Ausmaß der Probleme, die mit dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz in Verbindung stehen, erst nach der Herstellung der deutschen Einheit sichtbar. Die Regierung de Maizière kann hier nicht mehr regulierend eingreifen bzw. nachbessern.

Finanzielle Belastung durch Alt-Kredite

Um die Genossenschaften bei der Umstrukturierung zu unterstützen, führen Mitarbeiter des Ministeriums zahlreiche Beratungen mit LPG-Vorsitzenden durch. Dabei geht es vor allem um Fragen wie:

  • Ausgliederung von Werkstätten, Baubrigaden und anderen Hilfsbereichen aus der landwirtschaftlichen Primärproduktion
  • Ungeklärte Eigentumsverhältnisse
  • Regelungen zur DM-Eröffnungsbilanz
  • Verfahrensweise bei Alt-Schulden
  • Umgang mit Eigentum aus gemeinsamen Investitionen
  • Gewinnverteilung und Besteuerung

Insbesondere die Belastung durch Alt-Kredite für Grund- und Umlaufmittel wird zum großen Problem für die Genossenschaften. Das sind beispielsweise Kredite für nicht mehr nutzungsfähige Inventarobjekte wie großflächige Beregnungsanlagen oder Gewächshäuser. Über eine Anordnung, die Landwirtschaftsminister Pollack bereits im Mai 1990 erlässt, werden unter bestimmten Bedingungen Kreditstreichungen ermöglicht. Die betroffenen Einrichtungen können Anträge auf Entschuldung an die Bezirksverwaltungsbehörden stellen, die eigenverantwortlich bis 30. Juni 1990 darüber entscheiden. Die aus dem Haushalt zur Verfügung gestellten 400 Mio Mark decken jedoch nur einen Teil der beantragten Entschuldungen ab. Mit der Währungsumstellung kommt es zu erheblichen Problemen, da die noch laufenden Kredite trotz einer Abwertung im Verhältnis 2:1 zu massiven Überschuldungen führen. Hinzu kommt, dass einige Betriebe ihre angehäuften Reserven nicht mehr losschlagen können, und diese ebenfalls negativ in der DM-Eröffnungsbilanz zu Buche schlagen. Die Liquidität der Genossenschaften ist ernsthaft gefährdet und blockiert den Prozess der Entflechtung und Umstrukturierung zusätzlich.

Weitere Maßnahmen

Weitere Gesetze zur Umstrukturierung der Landwirtschaft sind:

  • „Gesetz zur Förderung der agrarstrukturellen und agrarsozialen Anpassung der Landwirtschaft der DDR an die soziale Marktwirtschaft“ (Fördergesetz) vom 6. Juli 1990 einschließlich 18 Anordnungen über Fördermaßnahmen.
  • „Gesetz über die Übertragung des Eigentums und die Verpachtung volkseigener landwirtschaftlich genutzter Grundstücke an Genossenschaften, Genossenschaftsmitglieder und andere Bürger“ vom 22. Juli 1990. Es bleibt entsprechend Anlage II des Einigungsvertrages nach dem 3. Oktober 1990 mit Änderungen in Kraft.
  • „Gesetz über die Übertragung volkseigener Güter, staatlicher Forstwirtschaftsbetriebe und anderer volkseigener Betriebe der Land- und Forstwirtschaft in das Eigentum der Länder und Kommunen“ vom 22. Juli 1990. Das Gesetz wird mit dem Einigungsvertrag nicht in das gesamtdeutsche Recht überführt, sondern durch Übergangsbestimmungen und Bundesrecht ersetzt.

Beitrag über die Zukunft der LPG im Zuge der Einführung der Marktwirtschaft.

Sendung „Berlin-Brandenburg“ vom 26. Juni 1990.

Umweltminister Karl-Hermann Steinberg berichtet im Interview über die Stilllegung einer Schweinemastanlage in Neustadt-Orla, in der jährlich 175.000 Schweine produziert werden konnten. Es gab dort seit Mitte der 1980er Jahre massive Probleme mit der Schadstoffemission aus den Ställen der Gülleaufbereitung; die Ammoniak-Geruchsbelastung ist immens. Schließlich wurde auf der 32. Ministerratssitzung am 26. September 1990 die Stilllegung der Schweinezuchtanlage beschlossen.

Heimatfilm GbR, 2009

19. Volkskammersitzung vom 29. Juni 1990: Zweite Lesung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes. (Teil 1).

Deutscher Bundestag

19. Volkskammersitzung vom 29. Juni 1990: Zweite Lesung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes. (Teil 2).

Deutscher Bundestag

22. Volkskammersitzung vom 6. Juli 1990: Zweite Lesung des Fördergesetzes.

Deutscher Bundestag

27. Volkskammersitzung vom 22. Juli 1990: Zweite Lesung des Gesetzes über die Übertragung des Eigentums und die Verpachtung volkseigener landwirtschaftlich genutzter Grundstücke an Genossenschaften, Genossenschaftsmitglieder und andere Bürger.

Deutscher Bundestag

Anpassungsschwierigkeiten

Mit Einführung der Marktwirtschaft werden die bisherigen Betriebsabläufe in den LPG empfindlich gestört. Die Prozesse der Umstrukturierung und Anpassung an Marktbedingungen geraten ins Stocken. Die Existenz vieler Betriebe ist akut bedroht, weshalb vielerorts einschneidende Maßnahmen ergriffen werden. Die Situation vieler Einrichtungen ist gekennzeichnet durch:

  • Senkung der Personalkosten durch Entlassungen und Kurzarbeit
  • Reduzierung oder zeitweilige Aussetzung von Vergütungszahlungen
  • Verzicht auf den Zukauf notwendiger Betriebsmittel (wie z.B. Dünger, Futtermittel, Saatgut)
  • Verzicht auf Leistungen von Kooperationspartnern
  • Verzicht auf Investitionen
  • Einsatz von Guthaben (sofern vorhanden)

Trotz der einschneidenden Maßnahmen droht vielen Betrieben eine dauerhafte Zahlungsunfähigkeit bzw. ist eine Überschuldung nach Vorliegen der DM-Eröffnungsbilanz absehbar. Bereits im August 1990 werden erste Anträge auf Durchführung von Konkursverfahren gestellt, ohne dass zukunftsfähige Lösungen für eine weitere Bewirtschaftung vorliegen.

Die Förderung des Anpassungs- und Umstrukturierungsprozesses in sanierungsfähigen Genossenschaften und Betrieben ist eine der vordringlichsten Aufgaben, die das MELF zu lösen hat. Dazu zählt auch die Unterstützung der Nachfolgebewirtschaftung durch Neugründungen im Falle der Auflösung oder des Konkurses von Genossenschaften. Dafür werden zusätzliche Mittel aus dem Staatshaushalt bereitgestellt.

Entwicklung der Landwirtschaft nach der deutschen Einheit

Sowohl die Produktion als auch die Zahl der Beschäftigten in der ostdeutschen Landwirtschaft gehen nach der Wiedervereinigung drastisch zurück. Bestehende Rechtsunsicherheiten und weiterhin notwendige Umstrukturierungen stellen eine große Herausforderung für die ländliche Bevölkerung dar. Um die durch EG-Richtlinien vorgeschriebene Reduzierung der Erzeugung zu erreichen, werden viele (minderwertige) landwirtschaftliche Nutzflächen stillgelegt. Die Stilllegung wird finanziell subventioniert. Auch die Flächennutzungsstruktur ändert sich erheblich. So geht beispielsweise der Anbau von Futterpflanzen, Kartoffeln und Zuckerrüben stark zurück. Auch die Tierbestände, insbesondere bei Rindern, Schweinen, Schafen und Hühnern werden deutlich reduziert. Aufgrund des starken Rückgangs der Produktion gehen in den neuen Bundesländern in den folgenden Jahren mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze im Bereich der Landwirtschaft verloren.

Beispiel Mecklenburg-Vorpommern

In dem Artikel „Die Landwirtschaft in der DDR und nach der Wende“ von Kai Brauer, Frank Ernst und Andreas Willisch werden die Veränderungen für das besonders auf Landwirtschaft ausgerichtete Mecklenburg-Vorpommern für die Zeit zwischen 1989 und 1991 folgendermaßen beziffert:

„Von 1,5 Mill. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche sind 14% durch Stillegung (114.00 ha) der Nutzung entzogen. Der Getreideanbau verringerte sich um 19%, der von Kartoffeln um 63%. Raps wird im Gegensatz dazu um 27% mehr angebaut. In der Rinderhaltung beträgt das Minus 43%, in der Schweineproduktion 58% und bei den Schafen 80%. (…) Die Anzahl der Beschäftigten sank von 194.534 auf 76.354.“

 

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