Interministerielle Arbeitsgruppe „Europäische Gemeinschaft“

Neben den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen gehört die Integration der DDR in die Europäische Gemeinschaft (EG) zu den zentralen außenpolitischen Aufgaben der Regierung de Maizière. Bereits im Koalitionspapier sind die wichtigsten europapolitischen Grundsätze festgeschrieben:

  • Im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik wird der europäischen Integration Priorität eingeräumt.
  • Die Vereinigung Deutschlands darf die Stabilität in Europa nicht beeinträchtigen.
  • Die eigene Sicherheit soll im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung gewährleistet werden.

Um den Prozess der europäischen Integration zu strukturieren, wird im Amt des Ministerpräsidenten eine Interministerielle Arbeitsgruppe EG eingerichtet, die von der Staatssekretärin Petra Erler geleitet wird. Die Arbeitsgruppe fungiert als zentrales Koordinierungsgremium zur Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft.
Voraussetzung für die europäische Integration der DDR ist jedoch die Zustimmung der Mitgliedsländer der EG. Auf einem von Kommissionspräsident Jacques Delors angeregten Sondergipfel der EG-Staats- und Regierungschefs sowie deren Außenminister am 28. April 1990 in Dublin begrüßen die Mitgliedsländer die deutsche Wiedervereinigung.

Die Staats- und Regierungschefs und Außenminister des Europäischen Rates am 28. April 1990 vor Dublin Castle.
Die Staats- und Regierungschefs und Außenminister des Europäischen Rates am 28. April 1990 vor Dublin Castle (vordere Reihe v.r.:) Ruud Lubbers (Niederlande), Jacques Delors (Europäische Kommission), Felipe González (Spanien), Anibal Cavaco Silva (Portugal), Giulio Andreotti (Italien), Margaret Thatcher (Großbritannien), Charles Haughey (Irland), Francois Mitterrand (Frankreich), Bundeskanzler Helmut Kohl und Konstantin Mitsotakis (Griechenland), dahinter die Außenminister. Quelle: Bundesregierung / Stutterheim

Auf dem Gipfel werden die Bedingungen für einen Beitritt der Gebiete der DDR zur EG verhandelt. Diese umfassen vor allem folgende Aspekte:

1.) Eingliederung der DDR in die EG über die Herstellung der Einheit Deutschlands
2.) Verzicht auf Beitrittsverhandlungen
3.) Erarbeitung von speziellen Übergangs- und Anpassungsregelungen bei der Einführung europäischen Rechts

Unterdessen bemühen sich der Außenminister der DDR, Markus Meckel, und Petra Erler auf europäischer Ebene, Bedenken gegenüber den Folgen einer deutschen Vereinigung zu zerstreuen und eine eigenständige Europapolitik der DDR zu etablieren.

 

Petra Erler erinnert sich an das erste Treffen mit der EG-Ratspräsidentschaft in Dublin im April 1990.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Im Gespräch fasst Petra Erler die zentralen Aufgaben der Europapolitik der letzten DDR-Regierung zusammen.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Petra Erler berichtet von der europäischen Solidarität, angesichts der hohen finanziellen Kosten der Integration der DDR in die EG.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Thilo Steinbach, außenpolitischer Berater von Lothar de Maiziere und Delegationsmitglied bei den Verhandlungen zum Zwei-plus-Vier-Vertrag, zu Verhandlungen mit der EG.

© "Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Im Sommer 1990 finden umfangreiche Verhandlungen statt, in denen zahlreiche Detailfragen der Integration der neuen Bundesländer zur EG geklärt werden müssen. Zentral ist dabei die Einführung europäischer Rechtsstrukturen unter der Gewährung von Übergangsregelungen und Sonderfristen. Damit soll der besonderen wirtschaftlichen und politischen Situation in der DDR Rechnung getragen werden. Dies betrifft vor allem Bestimmungen in folgenden Bereichen:

  • Umweltschutz
  • Agrarpolitik und Subventionen
  • Strukturpolitik

Finanziert werden sollen die Fördermaßnahmen aus den Struturfödermitteln und den europäischen Regionalfonds der Europäischen Gemeinschaft. Während im Umweltschutz Übergangsfristen zur Erfüllung der EG-Normen bis zum Jahr 1995 festgelegt werden, gibt es keine Sonderregelungen für die Sicherheitsstandards der Atomkraftwerke in der DDR. Diese müssen sofort abgeschaltet werden.
Im Bereich Agrarwirtschaft umfasst das Gesetzespaket ein umfangreiches Subventionsprogramm, mit dem Notverkäufe in der Landwirtschaft der DDR verhindert werden sollen. Des Weiteren dürfen die Landwirtschaftsbetriebe für zwei Jahre die EG-Mengenbegrenzungen bei der Pflanzenproduktion überschreiten. Während dieser Übergangszeit sollen Überkapazitäten abgebaut werden.
In der Strukturpolitik legt die EG ein Förderprogramm zur Stärkung strukturschwacher Regionen auf. Damit sollen Investitionen gestärkt und wirtschaftlicher Niedergang, besonders in ländlichen Regionen, verhindert werden. Um die DDR-Bürgerinnen und -Bürger über das Gesetzespaket und die Tätigkeit der EG zu informieren, sollen in allen neuen Bundesländern – wie in den alten Bundesländern bereits auch – sogenannte Europäische Informationszentren (EIC) eingerichtet werden. Zudem beraten die EICs Unternehmen bei der Integration in den EG-Binnenmarkt und bieten Schulungsmaßnahmen für Medien, Regierungsstellen und Amtsträger an. Alle Regelungen werden in einem Gesetzespaket mit dem Titel „Die Gemeinschaft und die deutsche Vereinigung“ zusammengefasst, das die EG-Kommission am 22. August 1990 vorlegt.

Bundeskanzler Helmut Kohl (r.) und Jacques Delors, Präsident der EG-Kommission (l.), am 25. September 1990 im Bundeskanzleramt mit einer Europakarte.
Bundeskanzler Helmut Kohl (r.) und Jacques Delors, Präsident der EG-Kommission (l.), am 25. September 1990 im Bundeskanzleramt mit einer Europakarte. Quelle: Bundesregierung / Reineke

Da der Europäische Rat und das Europäische Parlament erst Ende November 1990 über das Gesetzespaket abstimmen wollen, treten Konflikte mit dem von der DDR-Regierung angestrebten Beitrittstermin auf. Die innenpolitischen Entwicklungen in der DDR setzen die EG-Institutionen unter enormen Handlungsdruck. Zwar bittet Ministerpräsident de Maizière um eine Beschleunigung des Zustimmungsprozesses, doch das Gesetzespaket kann nicht mehr bis zum 3. Oktober 1990 von allen europäischen Institutionen verabschiedet werden. Deswegen treten zu diesem Zeitpunkt lediglich Übergangsbestimmungen in Kraft. Gleichzeitig wird die Bundesregierung ermächtigt, Regelungen, die nicht in Übereinstimmung mit Rechtsakten der EG stehen, bis Ende des Jahres 1990 beizubehalten. Die endgültige Umsetzung erfolgt am 18. Dezember 1990 durch die Verabschiedung einer „EG-Recht-Überleitungsverordnung“.

Petra Erler erinnert sich an die Verhandlungen von Übergangsfristen bei der Anwendung von EG-Recht und Normen auf dem Gebiet der DDR.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Im Gespräch beschreibt Petra Erler, von welchen Förderprogrammen der Europäischen Gemeinschaft die DDR profitiert hat.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Petra Erler fasst die Möglichkeiten und Grenzen einer eigenen Europapolitik der DDR zusammen.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Petra Erler erläutert die Handlungsspielräume der Europapolitk der DDR.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Die neuen Länder und die EG

Die Eingliederung der neuen Bundesländer in die EG wirft nicht nur im internationalen Kontext, sondern auch in den kommunalen Verwaltungen zahlreiche Fragen auf. Um den Informationsbedarf zu decken, organisiert Petra Erler Beratungen von Vertretern der Bundesregierung mit Verantwortlichen aus den Bezirksverwaltungen. Auf insgesamt drei Treffen werden folgende Fragenkomplexe der EG-Integration erörtert:

  • Regelungen der EG-Strukturpolitik
  • Möglichkeiten der EG-Politik im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung
  • Akquise und Verwendung von Mitteln aus den EG-Strukturfonds
  • Fördermaßnahmen des Europäischen Sozialfonds

Das PHARE-Programm

Parallel zur kommunalen und regionalen Vorbereitung der europäischen Integration bemüht sich Petra Erler in den Verhandlungen mit der EG intensiv um die Teilnahme der DDR im Programm PHARE (Poland and Hungary Assistance for Economic Restructuring). Beschlossen wird das Programm am 25. November 1989 auf einem Sondergipfel der EG-Staatschefs, um die Reformprozesse in Ungarn und Polen finanziell zu unterstützen. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Umgestaltung der Landwirtschaft, Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie dem Umweltschutz.
Da die DDR nur vor dem Beitritt Mittel aus dem Programm beantragen kann, müssen die Projektanträge unter Hochdruck erarbeitet werden. Mehrere Ministerien entwickeln hierfür Vorschläge, die in der Interministeriellen AG gebündelt und anschließend der EG zur Prüfung übergeben werden. Die Anträge umfassen beispielsweise die Sanierung des oberen Elbtals, eine Projektstudie über den Bau eines neuen Flughafens in Berlin oder die Einrichtung der Europäischen Informationszentren.
Um die effektive Verteilung der PHARE-Mittel in den Ministerien zu gewährleisten, werden sogenannte Projektmanagementeinheiten (PME) eingerichtet. Gemeinsam mit ressortspezifischen Lenkungsgruppen und durch die Einsetzung ausländischer Experten soll der Fortgang der angestrebten Projekte kontrolliert werden.

Mittels einer Rahmenvereinbarung, die am 28. September 1990 vom Vize-Präsident der EG-Kommission und Petra Erler unterzeichnet wird, können Fördermaßnahmen aus dem PHARE-Programm in Höhe von etwa 40 Millionen DM noch kurz vor der deutschen Einheit gesichert werden.

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