Deutsch-deutsche Kulturkommission

Die Bildung einer deutsch-deutschen Kulturkommission wird bereits bei einem Treffen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Hans Modrow im Dezember 1989 in Dresden vereinbart. Die Kommission soll als Diskussionsforum dienen, um die bilateralen Kulturbeziehungen, die sich nach der Friedlichen Revolution grundlegend verändert haben, neu zu definieren. Am 7. März 1990 beschließt der Ministerrat die Bildung der gemeinsamen Kulturkommission mit dem Ziel „die Grundlinien der bilateralen und internationalen Zusammenarbeit zu erörtern, neue Lösungswege zu finden, die Realisierung der bisherigen Zusammenarbeit zu analysieren und Möglichkeiten der weiteren Entwicklung sowie neue Formen der Kooperation im Prozeß der Vereinigung beider deutscher Staaten aufzuspüren“.

Die konstituierende Sitzung der Kommission findet noch vor den Volkskammerwahlen am 9. März 1990 statt. Auf bundesdeutscher Seite wird die Kulturkommission von der jeweiligen Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Ministerin Eva Rühmkorf (bis Mai 1990) bzw. Ministerin Marianne Tidick (Juni bis Dezember 1990), und der Bundesministerin für Innerdeutsche Beziehungen, Dorothee Wilms, geleitet. Auf Seiten der DDR hat nach der Regierungsbildung im April Kulturminister Herbert Schirmer die Kommissionsleitung inne. Weiterhin sind Vertreter aus dem Kulturministerium, dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, der Akademie der Künste und des Künstlerschutzbundes der DDR an den Beratungen beteiligt.

Innerhalb der Kommission gibt es vier Expertengruppen zu folgenden Themengebieten:

  • Rechtliche Grundsatzfragen und kulturelle Infrastruktur
  • Gemeinsame Pflege des kulturellen Erbes
  • Kulturelle und künstlerischen Aus- und Weiterbildung
  • Kulturarbeit im Ausland

Die Expertengruppen treffen sich regelmäßig zu Arbeitssitzungen und erarbeiten Empfehlungen zu einzelnen Problemfeldern. Diese werden auf den Folgetreffen der Kommission am 28. Juni und 26. September 1990 beraten.

V.l.n.r.: Marianne Tidick, Herbert Schirmer und Dorothee Wilms. Quelle: Bundesregierung/Lemmerz
Letzte Sitzung der innerdeutschen Kulturkommission im Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen am 26. September 1990. V.l.n.r.: Marianne Tidick, Herbert Schirmer und Dorothee Wilms. Quelle: Bundesregierung/Lemmerz

Prinzipielles Einvernehmen herrscht auf beiden Seiten darüber, dass die kulturelle Substanz der DDR erhalten bleiben soll. Strittig ist allerdings, welche Bereiche und Institutionen dazu gehören. Die unterschiedlichen Auffassungen bestimmen die Gespräche über strukturelle, finanzielle und rechtliche Aspekte bei der Überführung der bisher zentralen Leitung durch das Kulturministerium in die Hoheit der Länder. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung neuer Träger- und Finanzierungsmodelle für Einrichtungen, um Übergangsregelungen für die Künstlersozialversicherung, die Tarifhoheit und den Kulturfonds. Auch die betriebliche Kulturarbeit, die soziokulturelle Arbeit und die Tätigkeit der Kulturakademien stehen auf dem Prüfstand. Ebenso wird über die Zukunft des Instituts für Weiterbildung und die Gleichstellung künstlerischer und wissenschaftlicher Hochschulbildung verhandelt. Nicht zuletzt ist auch die Denkmalpflege sowie die Übergabe der nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR (Brandenburg, Ravensbrück, Sachsenhausen, Buchenwald) in die Länderhoheit Gegenstand der Verhandlungen.

Dorothee Wilms, Bundesministerin für Innerdeutsche Beziehungen 1990, erinnert sich im Interview an die Entstehung und Arbeit der deutsch-deutschen Kulturkommission und die Bemühungen um den Erhalt bzw. zur Förderung kultureller Projekte.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Kultur im Einigungsvertrag

Die Empfehlungen der Kulturkommission fließen unmittelbar in die Verhandlungen zum Einigungsvertrag ein. Dabei haben es die beteiligten Akteure anfangs schwer, die Kultur als Verhandlungsgegenstand in die Gespräche einzubringen, da der Einigungsvertrag in erster Linie Regelungen für Politik, Recht und Verwaltung vorsieht. Es bedarf einiger Überzeugungsarbeit, den Verhandlungspartnern die Bedeutung der kulturellen Dimension der Wiedervereinigung zu verdeutlichen. Trotz der vierzig Jahre währenden staatlichen Teilung haben die deutsche Sprache, Kultur und Kunst immer auch dem Austausch und der gegenseitigen Verständigung gedient. Das Gelingen der staatlichen Einheit ist daher nicht nur von der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, der Angleichung der Sozialsysteme und der Verbesserung der materiellen Situation abhängig. Diesem Umstand wird schließlich mit dem Artikel 35 im Einigungsvertrag Rechnung getragen. Er beginnt als einziger mit einer Erklärung, der sogenannten Kulturklausel:

Artikel 35, Einigungsvertrag. Quelle: Gesetzblatt der DDR, Teil I, 1990, Nr. 64
Artikel 35, Einigungsvertrag. Quelle: Gesetzblatt der DDR, Teil I, 1990, Nr. 64

„In den Jahren der Teilung waren Kunst und Kultur – trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten in Deutschland – eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation. Sie leisten im Prozeß der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag. Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschland in der Welt hängen außer von seinem politischen Gewicht und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab…“

 

Mit diesem Bekenntnis werden zugleich die bisherigen kulturellen Leistungen der DDR anerkannt. Daraus folgt die Notwendigkeit, dass auf dem Gebiet der DDR

  • die kulturelle Substanz keinen Schaden nehmen darf, und
  • die kulturelle Infrastruktur gefördert werden soll.

Weiterhin ist im Einigungsvertrag festgelegt, dass für die Erfüllung und Finanzierung der kulturellen Aufgaben künftig die Länder und Kommunen zuständig sind, in deren Trägerschaft die bestehenden Einrichtungen übergehen. Gleichwohl verpflichtet sich der Bund durch eine Übergangsfinanzierung zur Sicherung der Infrastruktur beizutragen und beteiligt sich an der Förderung einzelner Maßnahmen bzw. Institutionen. Als Erfolg der ostdeutschen Verhandlungspartner wird die Weiterführung des Kulturfonds gewertet. Er wird in die Stiftung Kulturfond umgewandelt, die von den fünf neuen Bundesländern getragen wird und bis zu ihrer endgültigen Auflösung 2006 erhalten bleibt. Eine besondere Regelung gibt es auch für die durch die Nachkriegsereignisse getrennten preußischen Sammlungen. Sie werden unter der Trägerschaft der Stiftung preußischer Kulturbesitz wieder zusammengeführt und ebenfalls finanziell vom Bund unterstützt.

Im wiedervereinten Deutschland werden zwischen 1991 bis 1994 vom Bund rund 3,3 Milliarden DM für kulturelle Sonderprogramme zur Verfügung gestellt. Sie dienen dem Erhalt bestehender Institutionen, der strukturellen Modernisierung und Förderung verschiedener Aktivitäten. Weitere rund 2,3 Milliarden DM werden zwischen 1991 und 1997 für den Erhalt historischer Stadt- und Dorfkerne sowie die Renovierung von Denkmälern bereitgestellt.

Mit der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands am 3.Oktober 1990 und der Wiedererrichtung der Länder treten die neuen Kultusminister der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen am 6. Dezember 1990 offiziell der Kultusministerkonferenz bei.

Im Interview berichtet Udo Bartsch über die Verhandlungen zum Einigungsvertrag für den Bereich Kunst und Kultur.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Während der Verhandlungen zum Einigungsvertrag verständigen sich die beteiligten Akteure auf den Erhalt der "kulturellen Substanz" auf dem Gebiet der DDR. Udo Bartsch erläutert im Interview, wieso sich die Verhandlungspartner auf diesen Begriff haben einigen können und was er für sie bedeutete.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Beispiel: Akademie der Künste

Auch die zentrale Kunstakademie der DDR, die Akademie der Künste in Ost-Berlin, ist unmittelbar von den Veränderungen in der Kulturpolitik betroffen. Im Juli 1990 wird der bisherige Präsident Prof. Dr. Manfred Wekwerth abgesetzt und Heiner Müller zum neuen Präsidenten der Akademie gewählt. Neben den personellen Veränderungen werden innerhalb der Akademie auch grundlegende strukturelle Änderungen diskutiert, um den notwendigen Abbau des bürokratischen Verwaltungsapparates voranzutreiben. Ein Vorschlag zur Selbstauflösung wird von den Akademiemitgliedern allerdings abgelehnt.

Es kommt zu erheblichen Sparmaßnahmen. Zudem steht die Frage nach einer gemeinsamen Zukunft mit der Akademie der Künste in West-Berlin auf der Tagesordnung. Beide Einrichtungen stehen in der Tradition der 1696 von Kurfürst Friedrich II. gegründeten Akademie der Künste. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war es jedoch unmöglich gewesen, im geteilten Berlin eine gemeinsame Akademie weiter zu betreiben, so dass sich sowohl in Ost- als auch in West-Berlin eine eigene Akademie der Künste neu konstituierte. Die Verhandlungen über eine gemeinsame Zukunft erweisen sich 1990 als kompliziert und langwierig. Erst 1993 – dank des Einsatzes der Präsidenten Heiner Müller (Ost) und Walter Jens (West) – wird die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg gegründet, in der beide Einrichtungen gleichberechtigt aufgehen.

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