Im Zuge der Neuorganisation der Regierungsstrukturen beschließt der Ministerrat im April 1990 die Zusammenlegung des Ministeriums für Handel und Versorgung mit dem Ministerium für Tourismus zum neuen Ministerium für Handel und Tourismus (MfHT). Im neu aufgestellten Geschäftsverteilungsplan sind folgende Aufgabengebiete festgelegt:
Grundsatzfragen der Handelspolitik und Handelsökonomie
Grundsatzfragen der Preispolitik im Handel
Kontrolle und Unterbindung von unlauterem Wettbewerb
Binnenmarktpolitik, Verbraucherschutz und Verbraucherrecht
Grundsatzfragen der Unternehmens- und Mittelstandspolitik
Tourismuspolitik und -förderung
Verbraucherschutzpolitik
Grundsatzfragen des Hotel- und Gaststättengewerbes
Erarbeitung von politischen Leitlinien zur Sicherung des Übergangs der Handels- und Tourismusbetriebe in die Marktwirtschaft
Die Öffnung des DDR-Marktes für westliche Produkte und Dienstleistungen sowie der Wegfall der staatlichen Preisregulation haben gravierende Auswirkungen auf den Handel sowie die Konsumgüter- und Nahrungsmittelindustrie. Doch nicht nur die Erzeuger und Händler, sondern auch die Konsumenten müssen sich auf eine vollkommen neue Situation einstellen.
Besonders die Einführung marktwirtschaftlicher Mechanismen im Bereich des Handels verläuft nicht ohne Probleme und erfordert umfangreiche regulierende Maßnahmen seitens der Regierung. Die Abschaffung der staatlichen Monopole in Handel und Verkauf sowie die Einführung von marktwirtschaftlichem Wettbewerb gehören hierbei zu den zentralen Aufgaben des Ministeriums. Darüber hinaus müssen die zentralistischen, planwirtschaftlichen Strukturen abgebaut oder privatisiert werden. Die zeitweilig auftretenden Versorgungsengpässe und die teilweise erhöhten Preise sowie die Maßnahmen zur Reorganisation der Handelsstrukturen führen zu großen Protesten in der Bevölkerung. Besonders die etwa 710.000 Beschäftigten im Groß-und Einzelhandel sind über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze besorgt.
Gleichzeitig beginnt die Privatisierung aller Geschäftsbereiche der staatlichen Handelsorganisation (HO) durch die Treuhandanstalt. Davon betroffen sind nicht nur die Angestellten in Lebensmittelläden, sondern auch hunderttausende Beschäftigte im Industriewarenhandel, in Gaststätten, Hotels und den Warenhäusern der DDR. Die genossenschaftlich organisierte Konsumhandelskette hingegen gehört ihren etwa 4,5 Millionen Mitgliedern. Damit fällt sie nicht in den Zuständigkeitsbereich der Treuhand. Zum Ministerium gehören außerdem noch sechs Forschungseinrichtungen, wie beispielsweise das Institut für Marktforschung in Leipzig. Diese Einrichtungen werden in GmbHs umgewandelt und aus dem direkten Zuständigkeitsbereich des Ministeriums ausgegliedert. Im Bereich Tourismus steht das Ministerium vor anderen Herausforderungen. Mit der wiedererlangten Reisefreiheit verliert die DDR ihre Attraktivität als Reiseziel. Während die Hotels und Gaststätten im Sommer 1990 mit einem erheblichen Rückgang an Gästen zu kämpfen haben, verzeichnen die neu eröffneten privaten Reisebüros zahlreiche Buchungen. Gleichzeitig verzichten aber auch hunderttausende DDR-Bürgerinnen und -Bürger im Sommer 1990 aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Lage gänzlich auf eine Urlaubsreise. Die Westdeutschen stehen der DDR als Urlaubsort zunächst skeptisch gegenüber.
Da auf westdeutscher Seite kein Äquivalent zum Ministerium existiert, entsendet das Bundeswirtschaftsministerium Berater, die den Umstellungsprozess unterstützen sollen. Zur Ministerin für Handel und Tourismus wird die diplomierte Juristin Sybille Reider ernannt. Die beiden Staatssekretärsposten übernehmen der frühere stellvertretende Minister für Handel und Versorgung, Werner Jurich, sowie der ehemalige Minister für Tourismus Bruno Benthien. Auf Grund des Bruchs der großen Koalition verlässt auch die der SPD angehörigen Ministerin Sybille Reider im August 1990 die Regierung. Zum geschäftsführenden Nachfolger wird Lothar Engel ernannt. Er hatte zuvor als Abteilungsgleiter im Ministerium für die Bereiche Unternehmens- und Gewerbepolitik sowie Wettbewerbskontrolle fungiert.
Sybille Reider berichtet von ihrem Antritt als Ministerin und der Situation im Ministerium für Handel und Tourismus.
Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015
Staatssekretär Werner Jurich berichtet auf der 11. Sitzung der Volkskammer am 7. Juni 1990 von den Bemühungen des Ministeriums zur Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung.
Der Amtssitz des Ministeriums für Handel und Tourismus
Im Rahmen der städtebaulichen Umgestaltung des Ost-Berliner Stadtzentrums beginnen im März 1968 die Arbeiten an einem neuen Gebäudekomplex am Alexanderplatz. Nach zweijähriger Bauzeit ziehen dort die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik der DDR und einige Abteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit ein. Ab 1990 nutzt die Ministerin für Handel und Tourismus das Gebäude als Amtssitz.
Nach der Wiedervereinigung dient das Haus der Berliner Außenstelle des Statistischen Bundesamtes und dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen als Geschäftsstelle. Auch die 1998 vom Deutschen Bundestag gegründete Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nutzt das Gebäude bis 2007. Seit 2008 steht der Gebäudekomplex leer.
Ministerbiografien
Biografien der Minister für Handel und Tourismus: Sybille Reider und Lothar Engel
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