Sportpolitik im Umbruch

Andreas Thom (l.), DDR-Nationalspieler des BFC Dynamo, wechselt als erster Spieler am 1. Februar 1990 in die Bundesliga zu Bayer 04 Leverkusen. Seinen Vertrag hatte er bereits am 12. Dezember 1989 unterzeichnet.
Andreas Thom (l.), DDR-Nationalspieler des BFC Dynamo, wechselt als erster Spieler am 1. Februar 1990 in die Bundesliga zu Bayer 04 Leverkusen. Seinen Vertrag hatte er bereits am 12. Dezember 1989 unterzeichnet. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0721-014, Fotograf: Matthias Hiekel

Ende der achtziger Jahre wird der Leistungssport in der DDR hochgradig subventioniert, während der Freizeitsport zunehmend vom Verfall der Sportstätten und Sparmaßnahmen betroffen ist. Die meisten Sporttreibenden in der DDR sind in Betriebssportgemeinschaften (BSG) oder im Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) organisiert. Der Spitzensport wird über ein landesweites Netzwerk von Leistungszentren systematisch gefördert, in denen Sportlerinnen und Sportler speziell ausgebildet und trainiert werden.
Mit dem Fall der Mauer verlieren die DDR-Sportfunktionäre zunehmend die Kontrolle sowohl über den Breiten- als auch den Spitzensport. Während auf regionaler Ebene alte Kontakte zwischen Sportvereinen in Ost und West wieder aufgenommen werden, entschließen sich zahlreiche DDR-Spitzensportler, zu Vereinen in der Bundesrepublik zu wechseln.

Die Auflösung des Deutschen Turn- und Sportbundes

Bereits Ende November 1989 leitet die Regierung Modrow mit der Umstrukturierung der Zuständigkeiten und dem schrittweisen Abbau der Subventionen das Ende des traditionellen Sportsystems der DDR ein.

Von den Veränderungen ist besonders der zentralistisch organisierte DTSB betroffen, der bis dahin über die Zuweisung der staatlichen Finanzmittel an die unterschiedlichen Sportarten entscheidet. Öffentlich kritisiert werden zudem die mangelnde demokratische Legitimation der Sportfunktionäre und die Vergangenheit des Verbandes als sportpolitisches Machtinstrument der SED.
Bis zur Volkskammerwahl im März 1990 gelingt es dem Verband, trotz der Wahl eines neuen Präsidenten nicht, demokratische Reformen einzuleiten. Zudem wird ein im April 1990 bei der Volkskammer gestellter Antrag auf Anerkennung des DTSB als gemeinnützige Organisation negativ beschieden, da der Verband zu diesem Zeitpunkt über keine demokratische Satzung verfügt. Mitte Mai 1990 gibt die neue Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert, eine Erklärung ab, in der sie ihre Pläne zur Wiederherstellung der Autonomie des Sports vorstellt. Die Vorhaben umfassen unter anderem die umfassende Entmachtung des DTSB-Apparates und die Einziehung der Vermögensbestände des Verbandes.

Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern (l.), am 28. Mai 1990 im Gespräch mit Cordula Schubert, Ministerin für Jugend und Sport (r.), im Bundesinnenministerium in Bonn.
Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern (l.), am 28. Mai 1990 im Gespräch mit Cordula Schubert, Ministerin für Jugend und Sport (r.), im Bundesinnenministerium in Bonn. Quelle: Bundesregierung / Stutterheim

Zukünftig sollen die staatlichen Sportfördermittel in Höhe von etwa 334 Millionen Mark der DDR nicht mehr an den DTSB ausgeschüttet, sondern direkt an die Fachverbände geleitet werden. Damit entzieht Cordula Schubert dem DTSB die Hoheit über die staatlichen Haushaltsmittel und die Finanzierungsgrundlage für die hauptamtlichen Mitarbeiter des Verbandes. Die Ankündigungen von Cordula Schubert veranlassen den DTSB, öffentlich den Rücktritt der Ministerin zu fordern.

Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern (2.v.l.), Cordula Schubert, Ministerin für Jugend und Sport der DDR (M.), Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) (l.), und Hans Hansen, Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) (r.), am 28. Mai 1990 auf einer Pressekonferenz zu den Planungen für die Bildung einer gemeinsamen Mannschaft für die Olympiade 1992 in Barcelona.

Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern (2.v.l.), Cordula Schubert, Ministerin für Jugend und Sport der DDR (M.), Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) (l.), und Hans Hansen, Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) (r.), am 28. Mai 1990 auf einer Pressekonferenz zu den Planungen für die Bildung einer gemeinsamen Mannschaft für die Olympiade 1992 in Barcelona.

Bundesregierung / Stutterheim

Die DDR-Versehrtensportler treffen bei ihrer Ankunft nach der Teilnahme an den Weltspielen in den Niederlanden am 27. Juli 1990 vor dem Berliner Haus des DTSB mit der Ministerin für Jugend und Sport Cordula Schubert (r.) zusammen.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0727-026, Fotograf: Peter Grimm

Am 6. Juli 1990 findet der Freundschaftslauf Berlin-Moskau statt. Der Olympia-Sieger Falk Hoffmann (2.v.r.) erklärt im Namen der DDR-Athleten am Brandenburger Tor, dass sie nicht an den Start gehen werden, wenn die Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert (l.), den Start vollzieht. Damit protestieren die Sportler und Trainer gegen Entlassungen und Kürzungen im Sportbereich.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0706-306, Fotograf: Robert Roeske
Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern (2.v.l.), Cordula Schubert, Ministerin für Jugend und Sport der DDR (M.), Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) (l.), und Hans Hansen, Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) (r.), am 28. Mai 1990 auf einer Pressekonferenz zu den Planungen für die Bildung einer gemeinsamen Mannschaft für die Olympiade 1992 in Barcelona.

Wolfgang Schäuble, Bundesminister des Innern (2.v.l.), Cordula Schubert, Ministerin für Jugend und Sport der DDR (M.), Willi Daume, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) (l.), und Hans Hansen, Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB) (r.), am 28. Mai 1990 auf einer Pressekonferenz zu den Planungen für die Bildung einer gemeinsamen Mannschaft für die Olympiade 1992 in Barcelona.

Bundesregierung / Stutterheim

Die DDR-Versehrtensportler treffen bei ihrer Ankunft nach der Teilnahme an den Weltspielen in den Niederlanden am 27. Juli 1990 vor dem Berliner Haus des DTSB mit der Ministerin für Jugend und Sport Cordula Schubert (r.) zusammen.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0727-026, Fotograf: Peter Grimm

Am 6. Juli 1990 findet der Freundschaftslauf Berlin-Moskau statt. Der Olympia-Sieger Falk Hoffmann (2.v.r.) erklärt im Namen der DDR-Athleten am Brandenburger Tor, dass sie nicht an den Start gehen werden, wenn die Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert (l.), den Start vollzieht. Damit protestieren die Sportler und Trainer gegen Entlassungen und Kürzungen im Sportbereich.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0706-306, Fotograf: Robert Roeske
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Aufgrund der finanziellen Probleme muss der DTSB im Sommer 1990 einen Großteil seiner 10.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen. Zudem bricht in dieser Phase der Sportbetrieb in der DDR zusammen, da der DTSB fast alle Finanzmittel zur Bezahlung der noch verblieben Angestellten aufbringen muss. Um die Entlassungen sozialverträglich abzufangen, richten MfAS und MfJS im August 1990 gemeinsam ein Beschäftigungsprogramm im Bereich Körperkultur und Sport ein. Damit soll den entlassenen Trainern, Sportlehrern, Physiotherapeuten und Sportmedizinern eine berufliche Perspektive aufgezeigt werden.

Parallel verhandelt der DTSB mit dem westdeutschen Pendant, dem Deutschen Sport Bund (DSB), über eine Vereinigung. Nach mehreren gemeinsamen Treffen einigen sich beide Verbände am 28. Juni 1990 auf ein Beitrittsverfahren, das folgende Schritte umfasst:

  • Gleichzeitig zur Länderbildung 1990 werden vier Landessportbünde gegründet. In Berlin tritt der Turn- und Sportbund Ost-Berlin dem Landessportbund bei
  • Die neuen Landessportbünde erklären ihren Beitritt zum DSB.
  • Die Aufnahme wird nach der deutschen Einheit wirksam.
  • Der DTSB nimmt bis zum Beitritt seine Funktionen wahr und beschließt dann seine Auflösung.
  • Als Voraussetzung für die Aufnahme der Landessportbünde in der DDR in den DSB müssen deren Satzungen nach demokratischen Prinzipien geändert werden.
  • Die Spitzenverbände und die übrigen Mitgliedsverbände des DSB vereinigen sich mit den Verbänden in der DDR zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Form, aber so zügig wie möglich.

Entsprechend der Maßgaben gründet sich am 15. September 1990 der erste Landessportbund der DDR in Brandenburg. Nur wenige Wochen später, am 5. Dezember 1990, löst sich der DTSB selbst auf.

Cordula Schubert berichtet von der Auflösung des Deutschen Turn- und Sportbundes und den Bemühungen zur Demokratisierung der DDR-Sportpolitik.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Die Entflechtung der Sportstrukturen

Neben dem Ende der Subventionierung und der Einrichtung föderaler Strukturen sollen auch dem Ministerium und DTSB nachgeordnete Einrichtungen entweder in andere Rechtsträgerschaften überführt, privatisiert oder geschlossen werden. Mit diesen Maßnahmen werden bisher zentral gelenkte sportpolitische Aufgaben in autonom agierende und selbstverwaltete Strukturen überführt. Zudem zielen die Umstrukturierungen auf die Abschaffung doppelter Strukturen in Ost und West ab.
Während Institutionen wie die Deutsche Hochschule für Köperkultur (DHfK) oder der Sportmedizinische Dienst (SMD) in kommunale Trägerschaft überführt werden, strebt das MfJS die Ausgliederung von Betrieben wie dem Technischen Zentrum Geräte und Anlagen (TZGA) oder dem Wissenschaftlich-Technischen Zentrum Sportbauten (WTZ) an.

Blick auf das Gelände der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Von 1950 bis 1990 bildet die DDR in der Hochschule Diplomsportlehrer und Lehrer für Körpererziehung für den Einsatz im Schul-, Breiten- und Leistungssport aus.

Blick auf das Gelände der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Von 1950 bis 1990 bildet die DDR in der Hochschule Diplomsportlehrer und Lehrer für Körpererziehung für den Einsatz im Schul-, Breiten- und Leistungssport aus.

Bundesarchiv, Bild 183-1989-1013-303, Fotograf: Wolfgang Kluge
Blick in die Druckkammer in der Sportschule Kienbaum zur Simulierung von Höhentraining. An den Geräten der großen Halle können 39 Sportler gleichzeitig trainieren, während in der zweiten Halle sechs Ruderer bzw. Kanuten gleichzeitig in einem 10.000-Liter-Becken üben können.

Blick in die Druckkammer in der Sportschule Kienbaum zur Simulierung von Höhentraining. An den Geräten der großen Halle können 39 Sportler gleichzeitig trainieren, während in der zweiten Halle sechs Ruderer bzw. Kanuten gleichzeitig in einem 10.000-Liter-Becken üben können.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0213-029, Fotograf: Klaus Oberst
Kinder vor dem FDGB-Ferienheim in Oberhof. In der thüringischen Gemeinde errichtet der DTSB 1973 eine Sportschule, in der zahlreiche DDR-Wintersportler trainiert werden.

Kinder vor dem FDGB-Ferienheim in Oberhof. In der thüringischen Gemeinde errichtet der DTSB 1973 eine Sportschule, in der zahlreiche DDR-Wintersportler trainiert werden.

Bundesarchiv, Bild 183-1989-0214-029, Fotograf: Helmut Schaar
Blick auf das Gelände der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Von 1950 bis 1990 bildet die DDR in der Hochschule Diplomsportlehrer und Lehrer für Körpererziehung für den Einsatz im Schul-, Breiten- und Leistungssport aus.

Blick auf das Gelände der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig. Von 1950 bis 1990 bildet die DDR in der Hochschule Diplomsportlehrer und Lehrer für Körpererziehung für den Einsatz im Schul-, Breiten- und Leistungssport aus.

Bundesarchiv, Bild 183-1989-1013-303, Fotograf: Wolfgang Kluge
Blick in die Druckkammer in der Sportschule Kienbaum zur Simulierung von Höhentraining. An den Geräten der großen Halle können 39 Sportler gleichzeitig trainieren, während in der zweiten Halle sechs Ruderer bzw. Kanuten gleichzeitig in einem 10.000-Liter-Becken üben können.

Blick in die Druckkammer in der Sportschule Kienbaum zur Simulierung von Höhentraining. An den Geräten der großen Halle können 39 Sportler gleichzeitig trainieren, während in der zweiten Halle sechs Ruderer bzw. Kanuten gleichzeitig in einem 10.000-Liter-Becken üben können.

Bundesarchiv, Bild 183-1990-0213-029, Fotograf: Klaus Oberst
Kinder vor dem FDGB-Ferienheim in Oberhof. In der thüringischen Gemeinde errichtet der DTSB 1973 eine Sportschule, in der zahlreiche DDR-Wintersportler trainiert werden.

Kinder vor dem FDGB-Ferienheim in Oberhof. In der thüringischen Gemeinde errichtet der DTSB 1973 eine Sportschule, in der zahlreiche DDR-Wintersportler trainiert werden.

Bundesarchiv, Bild 183-1989-0214-029, Fotograf: Helmut Schaar
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Doch nicht nur die Institutionen, auch die Förderung des Leistungssports steht auf dem Prüfstand. Im Zuge der Privatisierung der Betriebe werden zahlreiche Ausbildungsverträge, die die soziale Absicherung der Leistungssportlerinnen und Leistungssportler garantieren, ausgesetzt bzw. höhere Ansprüche an das Ministerium für Jugend und Sport gestellt. Um Ausbildungs- und Arbeitsverhältnisse aufrechtzuerhalten sollen finanzielle Anreize wie Steuernachlässe vorbereitet werden. Nach der Wiedervereinigung werden zahlreiche Spitzensportler aus der ehemaligen DDR von der Stiftung Deutsche Sporthilfe gefördert.

Die Verordnung zur Sicherung und Nutzung von Sporteinrichtungen in öffentlichem Eigentum

Im Juni 1990 erlässt der Ministerrat auf Betreiben des MfJS eine Verordnung zur Nutzung und zum Schutz von öffentlichen Sportstätten. Die Verordnung sieht die unentgeltliche Nutzung von Sportstätten durch gemeinnützige Vereine und durch den Behindertensport vor. Des Weiteren wird im Rahmen der Regelungen ein unentgeltliches Übernahmerecht von Sportstätten durch die Kommunen festgeschrieben. Vorrangigen Anspruch auf die Nutzung haben gemeinnützige Einrichtungen und Vereine. Da dem DTSB jedoch keine Genehmigung zur Registrierung als gemeinnützige Vereinigung erteilt wird, hat der Verband keinen unentgeltlichen Zugriff mehr auf die Sportstätten, sondern muss sich mit den betreffenden Vereinen arrangieren bzw. Nutzungsgebühren an die Kommunen zahlen.

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