Wettbewerbspolitik, Preisbildung und das Amt für Wettbewerbsschutz

Aufgrund der fehlenden Konkurrenz gibt es in der DDR keinen Wettbewerb zwischen Unternehmen und deren Produkten. Die Preise für Erzeugnisse und Dienstleistungen werden planmäßig festgelegt und sind in der DDR überall gleich. Durch die zentralisierte Produktionsweise in VEB und Kombinaten entstehen Monopole, die jedoch keine Auswirkung auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Betriebes haben. Die Konzentration von Produktionsstätten ist vor allem mit der Hoffnung einer Steigerung von Effektivität verbunden. In den 1980er Jahren gilt deswegen die Erfüllung des angesetzten Planungssolls als zentrales Leistungskriterium.
Wegen der mangelhaften Qualität und der hohen Produktionskosten sinkt die Weltmarktfähigkeit der DDR-Produkte. Exporte können häufig nur noch in die Länder des Ostblocks getätigt werden. Mit der Öffnung der DDR-Wirtschaft für ausländische Investoren und den Vorbereitungen zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion müssen die gesetzlichen Grundlagen für wettbewerbsorientierte und marktwirtschaftliche Strukturen erst neu geschaffen werden. Die Regelungen sind wichtiger Bestandteil des wirtschaftlichen Umgestaltungsprozesses, da ohne Wettbewerb die Prinzipien der Marktwirtschaft nicht greifen.

Menschen vor einem EDEKA-Markt im Eichsfeld im Juli 1990. Quelle: Bernd Schmidt, www.wir-waren-so-frei.de, CC BY-NC-ND
Menschen vor einem EDEKA-Markt im Eichsfeld im Juli 1990. Quelle: Bernd Schmidt, www.wir-waren-so-frei.de, CC BY-NC-ND

Zentrales Element neben den gesetzlichen Bestimmungen ist die Einrichtung des Amtes für Wettbewerbsschutz, das als Äquivalent zum Bundeskartellamt die Entstehung wirtschaftlicher Vormachtstellungen einzelner Betriebe unterbinden soll. Da die Bundesrepublik bereits über eine bewährte Kartellgesetzgebung verfügt, wird hauptsächlich die Übernahme der Bestimmungen diskutiert. Geringfügige Anpassungen an die wirtschaftlichen Umstände in der DDR sollen die Anwendbarkeit gewährleisten. Das Gesetz ist Bestandteil des sogenannten Mantelgesetzes über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik in der DDR, das am 30. Mai 1990 vom Ministerrat in die Volkskammer eingebracht wird.

Der Berichterstatter des Rechtsausschusses, Lothar Barthel (CDU/DA-Fraktion), wirbt auf der 16. Sitzung der Volkskammer am 21. Juni 1990 für die Annahme des Mantelgesetzes.

Deutscher Bundestag

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen deckt im Wesentlichen drei Bereiche ab:

  1. Verbot von Kartellverträgen oder sonstiger wettbewerbsbeschränkender Verträge
  2. Regelungen über die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen
  3. Kontrolle der Fusion von Unternehmen

Das Gesetz enthält zudem eine Ausnahmeregelung, die sogenannte Ministererlaubnis, die es dem Ministerpräsident oder dem Minister für Wirtschaft erlaubt, gesamtwirtschaftliche Kriterien im Sinne des Gemeinwohls stärker zu gewichten als Wettbewerbsbeschränkungen. Auch im Bereich der Fusionskontrolle existiert eine solche Klausel.
Zur Beratung über Fragen des Wettbewerbs wird eine deutsch-deutsche Arbeitsgruppe „Wettbewerb“ gegründet, die insgesamt fünfmal tagt. Besprochen werden in der AG unter anderem die Fusionen auf dem Gebiet des Tankstellensystems, der Energiewirtschaft oder bei den Interhotels. Zudem wird hier die Planung für die Einrichtung von Landeskartellbehörden nach der deutschen Einheit vorgenommen.

Das Amt für Wettbewerbsschutz

Bereits in der Regierung Modrow gibt es Vorarbeiten zur Gründung eines Amtes für Wettbewerbsschutz, doch eine gesetzliche Handlungsgrundlage fehlt zunächst. Mit Wirkung vom 30. Mai 1990 wird das Amt offiziell neu gegründet. Damit reagiert die DDR-Regierung auf die für Anfang Juli 1990 geplante Inkraftsetzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, das eine Kontrolle zum Schutz des Wettbewerbs notwendig macht.
Das Amt bildet das Pendant zum westdeutschen Bundeskartellamt und soll die kartellrechtliche Entwicklung von Wettbewerbsstrukturen in der DDR überwachen. Die inneren Strukturen beider Behörden sind aufeinander abgestimmt, um eine spätere Fusion zu erleichtern. Insgesamt beschäftigt das Amt 65 Mitarbeiter, zu deren Leiter Reinhold Wutzke ernannt wird. Das Amt für Wettbewerbsschutz ist zwar beim Ministerium für Wirtschaft angesiedelt, arbeitet aber auch eng mit anderen Ministerien wie dem Ministerium für Handel und Tourismus zusammen. Richtig handlungsfähig wird es jedoch erst mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik in der DDR am 1. Juli 1990.
Zu diesem Zeitpunkt sind jedoch schon zahlreiche betriebliche Zusammenschlüsse vollzogen. So übernimmt beispielsweise die westdeutsche Tengelmann GmbH im Bezirk Schwerin fast alle Filialen der HO-Handelskette und kann auf diese Weise deutlichen Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen. Trotz großer Proteste in der Bevölkerung gibt es für die Regierung kaum Möglichkeiten, rückwirkend kartellrechtlich einzugreifen.

Mit der Öffnung der Grenzen für Waren und Dienstleistungen aus der Bundesrepublik muss das Amt für Wettbewerbsschutz zahlreiche Unternehmenszusammenschlüsse und Übernahmen prüfen. Hierfür erhält das Amt weitreichende Ermittlungsbefugnisse, die es ermöglichen, Geschäftsunterlagen einzusehen oder Durchsuchungen durchzuführen. Besonders Fälle wie der geplante Zusammenschluss von Lufthansa und Interflug oder die Übernahme der staatlichen Versicherungen der DDR durch die Allianz AG stehen im Fokus der öffentlichen Debatten.

„Elefantenhochzeit“ – Die Gründung der Deutschen Versicherungs-AG

Die Staatliche Versicherung der DDR ist Anfang 1990 eines der attraktivsten Unternehmen für ausländische Investoren. Mit etwa 30 Millionen abgeschlossenen Verträgen in den Bereichen Hausrat-, Lebens-, Unfall- und KFZ-Versicherungen erwirtschaftet das staatliche Unternehmen hohe Einnahmen. Zudem fließen alle Sozialversicherungsbeiträge der Selbständigen, Freiberufler, Mitglieder Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) und der Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) in die Staatliche Versicherung ein.
Im März 1990 beginnt noch unter der Leitung der Regierung Modrow der Umbau der Staatlichen Versicherung zu einem privaten Unternehmen. Mit diesem Vorhaben sind drei Ziele verbunden:

  1. Sicherung der Rechte aus den bestehenden Versicherungsverträgen
  2. Frühzeitige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens
  3. Sicherung der 13.000 Arbeitsplätze

Am 8. März 1990 beschließt der Ministerrat der DDR, dass am 1. Mai 1990 die Gründung der „Deutschen Versicherungs-Aktiengesellschaft“ erfolgen soll, die dann als Rechtsnachfolgerin der Staatlichen Versicherung agiert. Die staatlichen Anteile an dem Unternehmen werden der Treuhandanstalt zur Verwaltung übergeben. Zudem legt der Beschluss fest, dass die westdeutsche Allianz-Gruppe als ausländischer Aktionär eingesetzt werden soll. Im Ministerratsbeschluss werden dafür folgende Gründe angeführt:

  • Umfassendes Produkt- und Servicewissen in allen Versicherungszweigen
  • Kapazität und Erfahrung im Einsatz von EDV
  • Internationale Ausrichtung, dichtes Netz von Unternehmen und Niederlassungen

Die Pläne stoßen in der Öffentlichkeit auf Kritik, besonders bei den Konkurrenten der Allianz, die sich benachteiligt sehen. Durch die frühe Festlegung des Ministerrates auf die Allianz-Versicherung haben andere Interessenten nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten konkurrierende Angebote einzureichen. Zudem verfügt die DDR zu diesem Zeitpunkt weder über ein Kartellrecht noch über ein Amt für Wettbewerbsschutz. Die Verhandlungen unterliegen somit keiner gesetzlichen Regulierung.
Zunehmender Handlungsbedarf ergibt sich jedoch aus der krisenhaften Entwicklung der Staatlichen Versicherung im Frühjahr 1990. Bis Juni 1990 verlassen 35% der Mitarbeiter das Unternehmen und wechseln zu westdeutschen Versicherungen. Zudem gerät die Versicherung durch die ökonomische Lage der DDR und sinkende Beitragszahlungen in finanzielle Schwierigkeiten. Insgesamt, so die Einschätzung der Regierung de Maizière im Mai 1990, ist der Versicherungsschutz der Bürger stark gefährdet. Zur Verschärfung der Lage trägt auch die Ankündigung von Wirtschaftsminister Pohl bei, dass der Umtausch der Sparguthaben der Lebensversicherungen im Verhältnis 2:1 erfolgt. Daraufhin kommt es zu massenhaften Kündigungen von Versicherungsverträgen sowie Prot

Auf Basis des Treuhandgesetzes wird die Umwandlung der Staatlichen Versicherung der DDR in eine Kapitalgesellschaft bis Juni 1990 vollzogen. Am 26. Juni 1990 gründen die Treuhandanstalt und die Allianz schließlich gemeinsam die Deutsche Versicherungs-AG, die zunächst alle fest und frei Angestellten sowie den größten Teil der Versicherungsverträge übernimmt. An dem neuen Unternehmen hält die Allianz 51 % und die Treuhandanstalt 49 % der Anteile.

Nachdem bekannt wird, dass Versicherungsguthaben im Verhältnis 2:1 getauscht werden sollen, bilden sich lange Schlangen vor den Filialen der Staatlichen Versicherung. Vor allem Menschen mit kleinen Sparguthaben wollen kündigen. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0508-016, Fotograf: Jürgen Ludwig
Nachdem bekannt wird, dass Versicherungsguthaben im Verhältnis 2:1 getauscht werden sollen, bilden sich lange Schlangen vor den Filialen der Staatlichen Versicherung. Vor allem Menschen mit kleinen Sparguthaben wollen kündigen. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0508-016, Fotograf: Jürgen Ludwig

Das Amt für Wettbewerbsschutz ist somit vor vollendete Tatsachen gestellt. Zwar hatte die Staatliche Versicherung den Zusammenschluss am 8. Juni 1990 freiwillig beim Amt angezeigt, dieses verfügt zu dem Zeitpunkt jedoch über keine rechtliche Handhabe. In einem Gutachten lehnt das Amt für Wettbewerbsschutz den Zusammenschluss aus kartellrechtlichen Gründen ab. Sowohl die Minister für Wirtschaft und Finanzen als auch der Ministerpräsident stellen jedoch ein übergeordnetes Interesse des Allgemeinwohls fest, das den Wettbewerbsschutz übersteigt. Lothar de Maizière macht von seinem im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen festgeschriebenen Recht Gebrauch und erteilt eine sogenannte Ausnahmeerlaubnis. Damit ist der Versicherungsschutz für etwa 16 Millionen DDR-Bürgerinnen und -Bürger vorerst gewährleistet.

Das Preisgesetz

Eng verbunden mit den Bestimmungen zur Wettbewerbspolitik ist das sogenannte Preisgesetz, mit dem die Preisbildung und deren Überwachung im Übergang zur Marktwirtschaft geregelt werden soll. Die freie Bildung von Preisen ist die Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb und somit zentral für die Einführung der Marktwirtschaft auf dem Gebiet der DDR. Da bis 1990 in der DDR alle Preise für Dienstleistungen und Waren staatlich reguliert sind, muss das Gesetz mit allen Ministerien abgestimmt werden. Im Rahmen eines sogenannten Ermächtigungsverfahrens werden die Fachministerien dazu aufgefordert für ihre jeweiligen Bereiche Leitsätze für die Preisbildung zu entwickeln. Damit soll ein unkontrollierter Preisanstieg verhindert und die sozial abgesicherte Lebenshaltung der Menschen in der DDR gewährleistet werden. Dies umfasst besonders Bereiche wie Mieten, Pachten oder Verkehrs- und Energietarife. Die Beschränkungen sollen jedoch nur für eine Übergangszeit gelten und sukzessive der Produktivitäts- und Einkommensentwicklung angepasst werden. Der Gesetzentwurf wird am 30. Mai 1990 im Ministerrat abgestimmt und am 15. Juni 1990 zur ersten Lesung in die Volkskammer eingebracht.

Lothar de Maizière und Sabine Bergmann-Pohl auf der 14. Tagung der Volkskammer am 15. Juni 1990. Auf der Sitzung wird das Preisgesetz debattiert.
Lothar de Maizière und Sabine Bergmann-Pohl auf der 14. Tagung der Volkskammer am 15. Juni 1990. Auf der Sitzung wird das Preisgesetz debattiert. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0615-445, Fotograf: Karl-Heinz Schindler

Nach längerer Aussprache wird das Gesetz in den Ausschuss für Wirtschaft überwiesen. Da die Bestimmungen wichtig für die Umsetzung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion sind, die nur 14 Tage später inkrafttreten soll, wird das Preisgesetz bereits eine Woche später in leicht abgeänderter Form beschlossen.

Gerhard Pohl begründet das Gesetz zur Preisbildung auf der 14. Sitzung der Volkskammer am 15. Juni 1990.

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