Forschung und Entwicklung

Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sind in der DDR institutionell eng miteinander verzahnt und unterscheiden sich in ihrer Organisation deutlich von den Strukturen in der Bundesrepublik. Bis zur Vereinigung beider Staaten werden daher grundlegende Entscheidungen getroffen, die auf eine vollständige Reorganisation der ostdeutschen Strukturen hinauslaufen. Dies hat insbesondere für den Bereich Industrieforschung weitreichende Konsequenzen.

Frank Terpe (l.) besucht seinen Amtskollegen, Bundesminister für Forschung und Technologie Heinz Riesenhuber (r.) am 23. April 1990 in Bonn. Quelle: Bundesregierung / Stutterheim
Frank Terpe (l.) besucht seinen Amtskollegen, Bundesminister für Forschung und Technologie Heinz Riesenhuber (r.) am 23. April 1990 in Bonn. Quelle: Bundesregierung / Stutterheim

Forschungsminister Frank Terpe trifft am 23. April zum ersten Mal mit Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber zusammen, um über das Zusammenwachsen von Forschung und Technologie in Deutschland zu beraten. In der Folge finden monatliche Treffen beider Minister statt und auch auf der Ebene der Mitarbeiter gibt es eine intensive Zusammenarbeit. Zu diesem Zweck wird ein gemeinsames Arbeitssekretariat in Berlin gebildet, das den Austausch von Mitarbeitern beider Ministerien fördert sowie Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen für MFT-Mitarbeiter organisiert.

Vorrangiges Ziel der Forschungspolitik ist es, die Nutzung der Forschung in allen Bereichen der Wirtschaft zu intensivieren. Dafür müssen sowohl der rechtliche Rahmen als auch die finanziellen Grundlagen geschaffen werden. Darüber hinaus geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Diese sind in der naturwissenschaftlichen Forschung und Technologieentwicklung insgesamt eher schwierig. Daran haben nicht nur die politisch-ideologischen Vorgaben, sondern vor allem das CoCom-Embargo wesentlichen Anteil, was exemplarisch am Bereich der Mikroelektronik – einem bevorzugten Gebiet der DDR-Forschungspolitik – verdeutlicht werden kann: Auf der CoCom-Liste stehen fast alle Erzeugnisse der Hochtechnologie, sodass reguläre Importe von leistungsstarken Computern und Anlagen zur Mikroelektronik-Herstellung unmöglich sind. Daher investiert die DDR in den 1970er und 1980er Jahren rund 15 Milliarden Mark in den Aufbau einer eigenen Mikroelektronikindustrie. Doch die Bilanz Anfang 1990 ist ernüchternd: Der erreichte technische Standard liegt deutlich unter dem Niveau der Bundesrepublik und anderer westlicher Länder. Zudem sind die DDR-Technologieprodukte zu teuer in der Herstellung und damit auf dem freien Markt nicht konkurrenzfähig.

Aber nicht nur technischer Rückstand und mangelhafte Ausstattung sind ein Problem. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist die Lage der rund 140.000 Beschäftigten in den Bereichen Forschung und Entwicklung (FuE) gekennzeichnet von:

  • Massenhafter Kündigung von FuE-Aufträgen durch DDR-Betriebe, weil diese aufgrund der Umwandlung in privatwirtschaftliche Unternehmen weitreichende Umstrukturierungen vornehmen und auf Forschungsprojekte verzichten müssen
  • Wegfall von staatlichen Forschungsaufträgen
  • Durch die Marktöffnung und den schrittweisen Abbau der Embargo-Beschränkungen besteht Zugang zum internationalen Angebot. Dadurch entfallen bisherige Arbeitsaufgaben wie z.B. Forschungsarbeiten zur Umgehung des Embargos oder zur Importvermeidung
  • Abwerbung von Spitzenkräften aus dem FuE-Bereich in die Bundesrepublik mit der Folge, dass Forschungsteams zerfallen und Potential verloren geht
Übersicht Beschäftigte in den Bereichen Forschung und Entwicklung in der DDR 1989 (Stand: Februar 1990). Quelle: BArch, DR 4/94
Forschungslandschaft der DDR - 1989

Übersicht der Anzahl Beschäftigter in den Bereichen Forschung und Entwicklung in der DDR 1989. (Stand: Februar 1990)

Quelle: Quelle: BArch, DR 4/94
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Zur Stabilisierung der Lage werden von Mai bis Juli umfangreiche Maßnahmen eingeleitet, die zwischen dem MFT und dem BMFT abgestimmt sind. Diese umfassen:

  • Förderung der Gründung technologieorientierter Unternehmen
  • Verleihung von Förderpreisen an DDR-Wissenschaftler, die mit einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt im Ausland verbunden sind
  • Förderung des Auf- und Ausbaus leistungsfähiger Technologiezentren auf DDR-Gebiet
  • Staatliche Förderung für bestimmte bestehende Forschungsgruppen in der Wirtschaft, um deren Erhalt zu gewährleisten
  • Bereitstellung von 65 Millionen DM durch die Bundesrepublik für Förderprogramme in den Bereichen: Ökologie und Umwelt; Energiewirtschaft; Transport und Verkehr; Rohstoffe-Werkstoffe; Städtebau und Bauwesen; Gesundheit des Menschen; Grundlagen der Ernährung; Moderne Biotechnologien; Automatisierungs-, Informations- und Messtechnik; Fertigungstechnik des Maschinenbaus; Veredelungschemie; Textiltechnologie

Per Ministerratsbeschluss vom 20. Juni 1990 werden die Unternehmen ihrerseits dazu angehalten, bei der notwendigen Sanierung ihrer Betriebe die bisherigen Forschungsprofile zu bereinigen und neu auszurichten. Für neue Projekte kann dann ein Förderantrag beim MFT gestellt werden. Um den Wissensaustausch anzuregen und eine Auslastung der vorhandenen FuE-Kapazitäten zu erzielen, werden außerdem Anreize für gemeinsame Forschungsprojekte mit bundesdeutschen Einrichtungen geschaffen. Der Ansatz ist durchaus lukrativ für beide Seiten und schon bald werden zahlreiche Verbundprojekte von Forschungseinrichtungen und Betrieben der DDR mit bundesdeutschen Partnern auf den Weg gebracht wie beispielsweise mit den Fraunhofer-Instituten.

Parallel dazu werden auf internationaler Ebene neue Kontakte zu Vertretern der Europäischen Gemeinschaft (EG) in Brüssel geknüpft. Bereits Ende Mai 1990 unternimmt Staatssekretär Dieter Pötschke mehrere Reisen, um die europäischen Partner kennenzulernen und die nötigen Strukturen aufzubauen, die eine Teilhabe an den EG-Programmen ermöglichen. In den Gesprächen geht es unter anderem um den schrittweisen Abbau der CoCom-Bestimmungen, die Einbeziehung von DDR-Wissenschaftlern in die EG-Arbeit sowie deren Mitwirkung in europäischen Forschungsprogrammen. Im Zuge des Einigungsprozesses müssen zudem alle bestehenden bi- und multilateralen Verträge der DDR mit den RGW-Ländern auf dem Gebiet der Forschung und Technologie überprüft und neu bestimmt werden. Dies erfolgt in enger Abstimmung mit dem BMFT, der EG und der UNO.

Dokumente

Weitere Förderprogramme zur Rettung der Industrieforschung

Infolge der Anpassungsschwierigkeiten vieler Betriebe beim Übergang zur Marktwirtschaft spitzt sich die Situation in der Industrieforschung seit Juli 1990 noch einmal zu. Aufgrund der neuen internationalen Konkurrenz bei gleichzeitigem Verfall der bisherigen Absatzmärkte geht die Nachfrage nach den Leistungen selbständiger und unternehmenseigener Forschungseinrichtungen drastisch zurück. Die Industriebetriebe selbst finden meist nur als Produktionsstätten neue Eigentümer – an den Forschungsbereichen besteht wenig Interesse.

Daher wird Ende August ein weiteres Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht, um den Aufbau sowohl von privaten Forschungseinrichtungen als auch eines neuen Mittelstandes mit innovativen technologieorientierten Unternehmen zu unterstützen. Zu diesem Zweck treten am 1. September drei weitere Förderprogramme in Kraft:

  • Förderung der Einrichtung von Innovationsberatungsstellen bei den Industrie- und Handelskammern, die als Vermittler im Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft fungieren
  • Förderung der Neueinstellung von FuE-Personal in kleinen und mittleren Unternehmen, um deren Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Diese Maßnahme dient auch dazu, den von Stellenabbau bedrohten Wissenschaftlern der Akademie der Wissenschaften eine Perspektive in der Wirtschaft zu geben.
  • Förderung der Auftragsforschung und -entwicklung für Unternehmen, mit dem Ziel der Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Antragsberechtigt sind produzierende Unternehmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten in Industrie, Handwerk, Bau- und Verkehrswesen sowie in der Land- und Forstwirtschaft. Gefördert werden Aufträge, die technologisch neue oder verbesserte Erzeugnisse oder Verfahren entwickeln, die sich auf dem Markt bewähren können. Damit soll dem Trend der Aufkündigung von Forschungsverträgen entgegengewirkt werden.

Aktuelle Stunde „Zur Gestaltung des Forschungs- und Entwicklungspotentials“ in der 33. Volkskammersitzung am 30. August 1990. Redebeitrag von Forschungsminister Terpe.

Deutscher Bundestag

Wissenschaft und Forschung im Einigungsvertrag

In Artikel 38 des Einigungsvertrages werden die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Neuordnung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der künftigen neuen Bundesländer festgelegt. Dabei wird betont, dass Wissenschaft und Forschung auch im vereinten Deutschland „wichtige Grundlagen für Staat und Gesellschaft“ bilden. Der Vertrag legt insbesondere Eckwerte und Leitlinien für die Umstrukturierung der institutionellen Forschungslandschaft fest:

  • Der Forschungsrat der DDR wird aufgelöst.
  • Die Begutachtung der öffentlich getragenen Einrichtungen durch den Wissenschaftsrat erfolgt bis zum 31. Dezember 1991, wobei einzelne Ergebnisse schon vorher schrittweise umgesetzt werden sollen.
  • Trennung der Akademie der Wissenschaften als Gelehrtensozietät von den Forschungseinrichtungen und sonstigen Einrichtungen. Die Länder haben über die Fortführung der Einrichtungen zu entscheiden.
  • Die Forschungsinstitute und sonstigen Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften, der Bauakademie und der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften bestehen bis 31. Dezember 1991 als Einrichtungen der Länder weiter, sofern sie nicht vorher umgewandelt oder aufgelöst werden. Die Übergangsfinanzierung wird durch Bundesmittel sichergestellt. Alle bestehenden Arbeitsverhältnisse bleiben befristet bis 31. Dezember 1991 erhalten.
  • In der (bisherigen) Bundesrepublik bewährte Methoden und Programme der Forschungsförderung werden auf die neuen Bundesländer ausgedehnt.
  • Öffnung des Systems der Gemeinschaftsfinanzierung durch Bund und Länder für Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung auf dem Gebiet der bisherigen DDR („Blaue Liste“).

Die Folgen der Regelungen für die Akademie der Wissenschaften sind gravierend. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nimmt die Erneuerung der Forschungslandschaft erst richtig Gestalt an. Für die Zukunft der Forschungseinrichtungen und Institute sind aufgrund der Kompetenzverteilung die neuen Bundesländer zuständig. Zahlreiche Einrichtungen bleiben nach den überwiegend positiven Evaluierungen durch den Wissenschaftsrat erhalten oder werden in bestehende bundesdeutsche Forschungsgemeinschaften eingegliedert. Allein mit Blick auf den Personalabbau leidet die Industrieforschung am meisten unter der Neuorganisation der Forschungslandschaft. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass sich die materiellen Forschungsbedingungen in den neu gegründeten Instituten in Ostdeutschland deutlich verbessern.

Beispiel: Der erste Technologiepark in den neuen Bundesländern

Gebäude auf dem Gelände des Ministeriums für Forschung und Technologie
Diese Veranstaltungs- und Messehallen zählen genau wie die Gebäude des MFT zu den Immobilien, die das TAZ in die Neugründung als GmbH mit einbringt. Quelle: Archiv IPW

Der erste Technologiepark in den neuen Bundesländern entsteht 1990 direkt auf dem Gelände in der Wuhlheide, auf dem auch das MFT seinen Sitz hat. Das ist kein Zufall. Es geht aus dem Technologie- und Ausstellungszentrum (TAZ) und dem Rechenzentrum des MFT hervor. Das TAZ war erst kurz zuvor auf Initiative von Peter-Klaus Budig eingerichtet worden. Budig leitet das Ministerium während der Umbruchszeit von Oktober 1989 bis März 1990. Nach dem Amtswechsel wird im MFT an einem Konzept zur Umwandlung des TAZ in eine Kapitalgesellschaft, die Innovationspark Wuhlheide GmbH, gearbeitet. Als Technologie- und Gründerzentrum soll die GmbH neugegründeten Unternehmen Raum und Unterstützung geben und so langfristig den Standort „Innovationspark Wuhlheide“ aufbauen. Ende September 1990 sind die notwendigen rechtlichen Schritte abgeschlossen und das TAZ aus dem MFT ausgegliedert. Nach der Wiedervereinigung erhält das Technologiezentrum finanzielle Unterstützung durch die entsprechenden Förderprogramme des dann gesamtdeutschen Bundesforschungsministeriums. Bereits Ende 1990 sind im Technologie- und Gründerzentrum 34 Unternehmen registriert, darunter befinden sich viele neugegründete Firmen. Der „Innovationspark Wuhlheide“ entwickelt sich im vereinten Deutschland zu einem wichtigen Standort für die mittelständische Wirtschaft im Bereich der Zukunftstechnologien.

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