Auflösung der Akademie der Wissenschaften

Die Akademie der Wissenschaften (AdW) vereint unter ihrem Dach das größte zusammenhängende Forschungspotential der DDR. Sie ist nicht nur eine Gelehrtengesellschaft, sondern fungiert auch als Trägerorganisation für rund 60 Forschungsinstitute aus allen natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. Damit ist sie die wichtigste außeruniversitäre Forschungseinrichtung der DDR. In der Akademie und ihren Einrichtungen stehen sowohl die Grundlagen- als auch die Anwendungsforschung im Mittelpunkt. Dies ist eine Besonderheit der ostdeutschen Forschungslandschaft. In der Bundesrepublik findet die Grundlagenforschung schwerpunktmäßig in den Universitäten statt.

Die 1946 von der sowjetischen Militäradministration neu eröffnete Akademie der Wissenschaften verfügt 1989 über etwa 400 Mitglieder und beschäftigt etwa 24.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren Instituten, Laboratorien, der Verwaltung sowie Kliniken und Werkstätten. Während der Umbruchszeit im Herbst 1989 bilden sich Arbeitsgruppen und Ausschüsse, im Februar 1990 schließlich wird der „Runde Tisch der AdW“ gebildet, an dem weitere Reformen ausgearbeitet und diskutiert werden. Diese zielen vor allem auf mehr Autonomie und die interne Demokratisierung, nicht jedoch auf eine prinzipielle Umgestaltung des etablierten Wissenschaftssystems. Eine wichtige Etappe im Erneuerungsprozess ist die Ablösung des alten Leitungspersonals. Am 17. Mai 1990 wird der Direktor der Klinik für Innere Medizin der Universität Rostock, Horst Klinkmann, zum neuen Akademiepräsidenten gewählt. Offiziell bestätigt wird dieser in seiner Funktion aber erst Wochen später, im Juni 1990, per Ministerratsbeschluss. Mit dem Beschluss werden zugleich der bisherige Präsident Werner Scheler, sämtliche Vizepräsidenten sowie der Generalsekretär mit Wirkung zum 29. Juni 1990 abberufen. Außerdem erhält die Akademie per Verordnung den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, die unabhängig ist und ihre Tätigkeit in eigener Verantwortung gestaltet. Das Statut von 1984 wird außer Kraft gesetzt.

Das Kamingespräch

Die weiteren Reformbestrebungen innerhalb der Akademie werden überlagert von den Richtungsentscheidungen der großen Politik. Am 3. Juli 1990 treffen Forschungsminister Frank Terpe und sein bundesdeutscher Amtskollege Heinz Riesenhuber mit Vertretern der Länder und einer hochrangigen Delegation aus Wissenschaft und Wirtschaft beim sogenannten Kamingespräch zusammen. Dort werden unterschiedliche Standpunkte und Perspektiven zur außeruniversitären Forschung der DDR diskutiert. Letztlich setzt sich diejenige Auffassung durch, die eine Abtrennung der Gelehrtengesellschaft von den Forschungsinstituten der Akademie und die Einpassung jener Einrichtungen in die westdeutsche Forschungslandschaft befürwortet. Außerdem wird vereinbart, dass der unabhängige westdeutsche Wissenschaftsrat die Leistungen und Potentiale der DDR-Einrichtungen evaluieren soll. In der Folge publiziert der Wissenschaftsrat mit Zustimmung von Minister Terpe am 6. Juli 1990 das Dokument „Perspektiven für Wissenschaft und Forschung auf dem Weg zur deutschen Einheit. Zwölf Empfehlungen“.

Mit dem Kamingespräch sind die Weichen für die Zukunft der AdW gestellt: Sie hat in ihrer bestehenden Form keine Zukunft in einem vereinten Deutschland. De facto wird eine Zusammenführung beider deutscher Wissenschaftssysteme vereinbart, die sich am bundesdeutschen Institutionengefüge orientiert.

Gemeinsame Pressemitteilung BMFT und MFT vom 3. Juli 1990. Quelle: BArch, DF 4/24357
Pressemitteilung vom 3. Juli 1990

Gemeinsame Pressemitteilung des Bundesministeriums für Forschung und Technologie und des Ministeriums für Forschung und Technologie zum Treffen am 3. Juli 1990.

Quelle: BArch, DF 4/24357
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Aktuelle Kamera vom 11. Mai 1990: Minister Terpe äußert sich bei einem Besuch im Institut für Elektronenphysik zur Zukunft der Akademie der Wissenschaften.

Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

Der Parlamentarische Staatssekretär Ernst-Hinrich Weber äußert sich in der 19. Volkskammersitzung am 29. Juni 1990 zur Situation der Akademie der Wissenschaften.

Deutscher Bundestag

Perspektive: Evaluation der AdW-Institute

Für die Bestandsaufnahme, Evaluation und Fragen der Strukturierung bzw. Einpassung des außeruniversitären Forschungspotentials in eine gesamtdeutsche Forschungslandschaft werden Arbeitsgruppen und Kommissionen aus Wissenschaftlern und Wissenschaftspolitikern beider Teile Deutschlands gebildet. Noch im Juli stellt das Forschungsministerium eine Liste derjenigen Einrichtungen zusammen, die evaluiert werden sollen. Diesen wird ein 23 Fragen umfassender Katalog vorgelegt, der bis 31. August 1990 beantwortet werden muss. Darin werden beispielsweise Auskünfte erbeten zu den gegenwärtigen Aufgaben und Tätigkeiten, Organisationsstrukturen, zum Personal, zur Ausstattung und Finanzierung, zur nationalen und internationalen Zusammenarbeit sowie den Zukunftsplänen der Institute. In einem zweiten Schritt sind ab September 1990 Vor-Ort-Besuche vorgesehen. Nach Auswertung und Diskussion dieser Entscheidungsgrundlagen – auch unter Einbezug externer Expertise – werden dann wissenschaftspolitische Empfehlungen zur Reorganisation ausgesprochen. Da dieser Prozess sehr aufwendig ist und keinesfalls bis zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik abgeschlossen sein kann, müssen Übergangsregelungen für die Zeit nach dem 3. Oktober 1990 geschaffen werden.

Regelungen zur AdW im Einigungsvertrag

Gemäß Artikel 38 Einigungsvertrag soll das mehrstufige Verfahren der Evaluation der Akademieinstitute „bis zum 31. Dezember 1991 abgeschlossen sein (…), wobei einzelne Ergebnisse schon vorher schrittweise umgesetzt werden sollen.“ Bis dahin wird diesen Einrichtungen und ihren Mitarbeitern eine vom Bund und den neuen Ländern getragene Übergangsfinanzierung zugesichert, „soweit sie nicht vorher aufgelöst oder umgewandelt werden“. Zu diesem Zweck wird eine Koordinierungs- und Abwicklungsstelle der Institute der Akademie der Wissenschaften eingerichtet.

Für die Akademie selbst fixiert der Einigungsvertrag die Trennung der Gelehrtensozietät von den Forschungsinstituten. Über die Art und Weise des Weiterbestehens der Akademie der Wissenschaften als Gelehrtensozietät hat das Land Berlin zu entscheiden.

Auflösung und Neuanfang

Im Rahmen der Umstrukturierung werden unterschiedliche Maßnahmen eingeleitet. Diese umfassen unter anderem:

  • Vorruhestandsregelungen und Umschulungen
  • Anschubfinanzierung für ausgelagerte Institute, die in die wirtschaftliche Selbständigkeit entlassen werden
  • Eingliederung bestimmter Akademieinstitute in Universitäten und Hochschulen
  • Föderalisierung von Akademiebereichen, d.h. Umwandlung in Landesforschungsinstitute

Dadurch kann das Personal in der AdW etwa auf die Hälfte im Vergleich zum Stand von 1989 reduziert werden. Von den 60 zur Akademie zählenden Instituten werden nur sechs vollständig aufgelöst. Nach der Evaluation bleibt rund ein Drittel bei mehr oder weniger stark reduziertem Personal als Organisation erhalten, d.h. bekommt einen neuen Rechtsträger. Die restlichen Institute werden entweder in eine existierende westdeutsche Forschungseinrichtung – wie Max-Planck-Gesellschaft, Deutsche Forschungsgesellschaft oder Fraunhofer Institut – integriert oder aufgegliedert. Die Aufgliederung nimmt sehr variable Formen an. Einzelne Teile der aufgegliederten Institute werden entweder selbständig, schließen sich zu neuen Instituten zusammen oder werden in Hochschulen integriert. Erfreulicherweise bleiben bei diesem Anpassungsprozess mehr Arbeitsplätze erhalten als in der Industrieforschung.

Nach dem formalen Erlöschen der Institute zum 31. Dezember 1991 wird auch die Akademie für aufgelöst betrachtet. Als Nachfolgeorganisation konstituiert sich 1992 die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften durch einen Staatsvertrag zwischen den Bundesländern Berlin und Brandenburg in der Tradition der Preußischen Akademie der Wissenschaften neu.

Am Ende dieses durchaus radikalen Umstrukturierungsprozesses, der in seinen Grundzügen 1992 abgeschlossen ist, steht eine vollständig veränderte und international konkurrenzfähige außeruniversitäre Forschungslandschaft in Ostdeutschland.

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