Die Beauftragte für die Gleichstellung von Frauen und Männern

In der DDR ist die Gleichberechtigung der Geschlechter in Art. 20, Abs. 2 der Verfassung verankert: „Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben die gleiche Rechtsstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens. Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine gesellschaftliche und staatliche Aufgabe.“ In der Realität ist die Gleichberechtigung aber nur teilweise verwirklicht. Das Konzept der Gleichberechtigung verfolgt vor allem ökonomische und demographische Ziele. Es geht darum, Frauen möglichst umfassend in die Arbeitswelt, berufliche Bildung und Weiterbildung zu integrieren, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen. Auch in den gesellschaftlichen und politischen Organisationen sollen Frauen möglichst auf breiter Ebene mitwirken. Für die DDR-Propaganda werden Frauen vereinnahmt und ihre Rolle bzw. Funktion in der sozialistischen Gesellschaft verherrlicht. An den eigentlichen Macht- und Entscheidungsprozessen sind sie jedoch kaum beteiligt. In Politik und Planwirtschaft sind Spitzenpositionen nur selten von Frauen besetzt. Außerdem verdienen Frauen weniger als Männer. Auch innerhalb der Familien hat sich trotz der Berufstätigkeit beider Partner kaum etwas verändert. Die Lastenverteilung ist oft ungleich, und es sind die Frauen, die sich um die Hausarbeit, die Pflege Angehöriger und die Organisation des täglichen Lebens kümmern. Alle sozialpolitischen Maßnahmen und Erleichterungen – wie Hausarbeitstag, Kinderbetreuungseinrichtungen, Babyjahr – dienen der Verwirklichung des Leitbildes der voll berufstätigen Mutter. Die Lebenswirklichkeit vieler Frauen in der DDR ist daher nicht von Gleichberechtigung, sondern eher von Überlastung gekennzeichnet.

Plakat des Unabhängigen Frauenverbandes mit Slogan "Alle Frauen sind stark!" zur Volkskammerwahl am 18. März 1990. Quelle: Bundesarchiv, Plak 102-014-013
Plakat des Unabhängigen Frauenverbandes mit Slogan „Alle Frauen sind stark!“ zur Volkskammerwahl am 18. März 1990. Quelle: Bundesarchiv, Plak 102-014-013

Die allseits spürbare Diskrepanz zwischen dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung und der realen Lebenswirklichkeit wird im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche 1989 erstmals öffentlich diskutiert. Mit dem Unabhängigen Frauenverband gründet sich eine politische Vereinigung, die für die Interessen der Frauen und eine tatsächliche Gleichstellung eintritt. Auf ihre Initiative hin wird am Runden Tisch die Einrichtung von Gleichstellungsstellen vorangetrieben. Diese Idee findet Eingang in die Koalitionsverhandlungen zur Regierungsbildung nach den Volkskammerwahlen vom 18. März 1990. In der Koalitionsvereinbarung wird schließlich die Schaffung einer/s Beauftragten für die Gleichstellung von Mann und Frau festgelegt, um die in der Verfassung der DDR festgeschriebene Gleichberechtigung von Frauen und Männern umzusetzen. Darauf nimmt Ministerpräsident Lothar de Maizière auch in seiner ersten Regierungserklärung Bezug: „Zur Gleichstellung der Frauen in Beruf und Gesellschaft werden wir auf allen gesellschaftlichen Ebenen, das heißt in den Kommunen, in den Ländern und beim Ministerrat, Beauftragte einsetzen, die darauf achten, daß die Gleichstellung auch im Alltag von Betrieben und Verwaltungen Wirklichkeit wird.“

Seit dem 7. Mai 1990 arbeitet Marina Beyer an der inhaltlichen und personellen Strukturierung der Abteilung 3 des Ministeriums für Familie und Frauen, die für die Gleichstellung von Frauen und Männern zuständig ist. Am 16. Mai 1990 wird sie offiziell zur Gleichstellungsbeauftragten der Regierung ernannt. Ihr Ziel ist es, die Rechte der Frauen zu stärken und in ein geeintes Deutschland einzubringen. In den ersten Wochen stehen jedoch die Klärung der konkreten Aufgabenfelder, der personellen und finanziellen Ausstattung sowie die Kompetenzverteilung zwischen der Gleichstellungsbeauftragten und der Abteilung 3 des MfFF im Mittelpunkt. Erst Anfang Juli 1990 wird in diesen grundsätzlichen Angelegenheiten eine Einigung erzielt, was bis dahin eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Gleichstellungsbeauftragten zur Folge hat.

Zu den Aufgaben der Gleichstellungsbeauftragten gehören die Begutachtung von Gesetzesvorlagen und die Erarbeitung eigener Handlungsstrategien, beispielsweise zur Förderung von Frauenprojekten und der Frauenforschung. Außerdem hält sie die Verbindung zu den Gleichstellungsbeauftragten in den Regierungsbezirken, die auf Grundlage der Kommunalverfassung vom 17. Mai 1990 in allen Gemeinden mit eigener Verwaltung eingerichtet werden.

Gleichwohl sind die Gestaltungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume der Beauftragten beschränkt. Im ersten Staatsvertrag spielt die Gleichberechtigung weder in den Inhalten noch in der personellen Zusammensetzung der verhandlungsführenden Parteien eine Rolle, was auch von Familien- und Frauenministerin Schmidt scharf kritisiert wird. Und auch zu den Verhandlungen um den Einigungsvertrag wird die Gleichstellungsbeauftragte nicht hinzugezogen. So bleiben die von ihr erarbeiteten Vorschläge für ein Frauen-Quotensystem, das bei Entlassungen, Neueinstellungen und bei der Besetzung von Führungspositionen zur Anwendung kommen soll sowie Vorschläge für kürzere und familienfreundlichere Arbeitszeiten weitgehend unberücksichtigt.

Mit ähnlichen Schwierigkeiten haben die Gleichstellungsbeauftragten auf kommunaler Ebene zu kämpfen. Sie werden beispielsweise bei der Konzeption zum Aufbau der neuen Länderstrukturen durch das Ministerium für Regionale und Kommunale Angelegenheiten nicht eingebunden. Dieser Schritt wird offiziell mit Verweis auf die angespannte Haushaltslage begründet, welche die Einrichtung von Familien- oder Gleichstellungsministerien in den künftigen neuen Ländern unmöglich macht.

Marina Grasse, ehemalige Beauftragte der Regierung für die Gleichstellung von Mann und Frau im Range einer Staatssekretärin, über ihre Aufgaben.

© „Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Marina Grasse, ehemalige Beauftragte der Regierung für die Gleichstellung von Mann und Frau im Range einer Staatssekretärin, berichtet von einer Gesetzesinitiative zur Etablierung von Gleichstellungsbeauftragten in den Strukturen.

© „Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Marina Grasse, ehemalige Beauftragte der Regierung für die Gleichstellung von Mann und Frau im Range einer Staatssekretärin, erinnert sich an ihr Verhältnis zu Ministerin Schmidt und den Staatssekretären Geisler und Kreft.

© „Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Marina Grasse, ehemalige Beauftragte der Regierung für die Gleichstellung von Mann und Frau im Range einer Staatssekretärin, spricht über den Einigungsvertrag.

© „Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

In Anbetracht der Schwierigkeiten, mit denen die Gleichstellungsbeauftragte in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert ist, blickt sie bereits vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik kritisch auf ihre Amtszeit. Anlässlich der Eröffnung einer Fachtagung zum Thema „Gleichstellungspolitik in der DDR und BRD“ am 17. September 1990 an der Humboldt-Universität zu Berlin findet sie deutliche Worte: „Wenn auch zögernd, so war ich doch bereit, dieses Amt anzunehmen auch in dem Glauben (…) endlich den Verfassungsgrundsatz der Gleichberechtigung in tatsächlich erfahrbare Lebenswirklichkeit umzusetzen. Ein Irrglaube, wie sich schnell zeigte. Die Einbindung unseres Arbeitsstabes in das Ministerium für Familie und Frauen, die damit verbundene Schwierigkeit, nicht deckungsgleiche Aspekte der Arbeit einer Gleichstellungsbeauftragten und der der Abteilung Frauenpolitik im Ministerium zu verdeutlichen, der zähe Streit um notwendige Kompetenzen, die personelle Ausstattung mit ganzen 5 Mitarbeiterinnen ließen schnell den Verdacht aufkommen, daß es sich hier um eine Alibifunktion handelt. Heute bin ich sicher, es war ein Trick, um die Frauen zu besänftigen, die seit Jahren in inoffiziellen Gruppen und seit Herbst 1989 an vielen Orten öffentlich gemacht hatten, daß sie nicht mehr bereit waren, ihre Bedürfnisse und Interessen ausschließlich von Männern definieren und vertreten zu lassen.“

Frauenreport `90

Cover "Frauenreport `90". Verlag Die Wirtschaft Berlin GmbH, 1990 / Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GmbH
Cover „Frauenreport `90“. Verlag Die Wirtschaft Berlin GmbH, 1990 / Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GmbH

Ein Ergebnis der Tätigkeit der Gleichstellungsbeauftragten ist der Frauenreport `90, der in Zusammenarbeit mit dem Institut für Soziologie und Sozialpolitik und dem Statistischen Amt der DDR entsteht. Der Bericht ist die erste und einzige Dokumentation, die es über die soziale Situation der Frau in der DDR gibt. Er analysiert und beschreibt den Status quo von Frauen im Jahr 1989 und reflektiert bereits für einzelne Bereiche neuere Entwicklungen der Umbruchszeit 1989/1990. Durch die Auswertung von umfangreichem Datenmaterial, welche die Lebensbedingungen der Frauen wiedergeben, werden die zum Teil widersprüchlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen aufgezeigt. Der Bericht soll als Grundlage für die Entwicklung neuer politischer Handlungsstrategien dienen, um die rechtliche und soziale Gleichstellung voranzubringen.

Im Detail enthält der Frauenreport `90 Statistiken, Analysen und Ergebnisse von Meinungsumfragen, die Auskunft geben über:

  • die Altersstruktur der weiblichen Bevölkerung
  • den Bildungsstand und die Berufstätigkeit
  • das Gesundheitsbewusstsein, Freizeit- und Familienverhalten
  • Frauen und Kriminalität
  • die rechtliche Lage von Frauen
  • die politischen Aktivitäten von Frauen

Der Bericht konstatiert, dass die selbstverständlich gewordenen „Frauenrechte“ wie die Nutzung der Kinderbetreuungseinrichtungen, bezahlte Freistellung bei Erkrankung von Kindern, besonderer Kündigungsschutz sowie das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft keine Garantie für eine tatsächliche Gleichstellung sind. Sie bilden vielmehr die notwendigen Voraussetzungen, um Berufstätigkeit und Mutterschaft bzw. familiäre Aufgaben miteinander verbinden zu können. Es wird eine soziale Ungleichheit und Diskriminierung von Frauen festgestellt, die durch die seit Mitte der 1970er Jahre praktizierte Sozialpolitik reproduziert wird, weil die Gestaltung der Berufs- und Arbeitswelt einseitig auf die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft (statt Elternschaft) orientiert ist. Weiterhin betont der Bericht, dass trotz weitgehender Aufhebung von Bildungsunterschieden zwischen Mädchen und Jungen die geschlechtsspezifischen Differenzen in der beruflichen Qualifikationsstruktur nahezu erhalten geblieben sind. Mädchen erlernen nach wie vor traditionelle und tendenziell schlechter bezahlte Frauenberufe, beispielsweise in der Textil- und Lebensmittelindustrie oder der Verwaltung. Akademikerinnen arbeiten vor allem in den Bereichen Bildung, Kultur und Gesundheitswesen. Die besser bezahlten Arbeitsplätze in Wirtschaft und Politik sind den Männern vorbehalten. Ein größerer Anteil Frauen arbeitet unterhalb ihres Qualifikationsniveaus und bemüht sich weniger um berufsbegleitende Weiterqualifizierung. Das führt dazu, dass das Einkommen der erwerbstätigen Frauen niedriger ist, ihre Aufstiegschancen geringer sind und sie bis auf wenige Ausnahmen keine höheren Leitungspositionen innehaben. Hinzu kommt, dass die Frauen in der Regel zugunsten der Familie und der Fürsorge für die Kinder auf zusätzliche Qualifikationen und Aufstiegsmöglichkeiten verzichten. Diese im Berufsleben stattfindende Diskriminierung setzt sich auch im Alter fort. Durch die Bindung des Renteneinkommens an geleistete Jahre der Erwerbsarbeit und die Einkommenshöhe erhalten Frauen aufgrund der unbezahlten Pflegezeiten für Kinder und andere Familienangehörige eine deutlich niedrigere Rente und sind stärker von Altersarmut bedroht.

Cover
Frauenreport `90

Der Frauenreport `90 ist im Auftrag der Beauftragten des Ministerrates für die Gleichstellung von Frauen und Männern, Dr. Marina Beyer, entstanden und wurde von Gunnar Winkler herausgegeben.

Quelle: Verlag Die Wirtschaft Berlin GmbH, 1990 / Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der HUSS-MEDIEN GmbH
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Übergang in die Marktwirtschaft

Vor dem Hintergrund der sozialen Benachteiligung der Frauen kommt der Bericht zu dem Schluss, dass diese beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft die schlechteren Startchancen haben. Sie sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Insbesondere den alleinerziehenden Frauen mit Kleinkindern und den über 50-jährigen Frauen droht eine Langzeitarbeitslosigkeit, wenn sie vorrangig in der Verwaltung bzw. den nicht mehr zu haltenden Bereichen der Wirtschaft tätig gewesen sind. Auch unter den arbeitslosen Hochschulabsolventen sind Frauen überrepräsentiert. Für sie ist es häufig nicht möglich, eine neue Tätigkeit zu finden, die ihrem Qualifikationsniveau entspricht. Darüber hinaus verzeichnet der Bericht seit Juli 1990 einen rasanten Anstieg in der Kurzarbeit, wobei ebenfalls die Wirtschaftszweige mit hohem Frauenbeschäftigungsanteil (Land- und Forstwirtschaft, Textilindustrie, Elektrotechnik) überdurchschnittlich betroffen sind.

Als zu lösende Hauptprobleme werden im Bericht die unzureichende materielle Absicherung, die lückenhaften gesetzlichen Grundlagen beim Kündigungsschutz, fehlende Arbeitsbeschaffungs- und Umschulungskonzepte, neue Rentenregelungen sowie die verdeckte Frauendiskriminierung benannt. Die Anstrengungen der Gleichstellungsbeauftragten wie auch der Familienministerin richten sich daher vor allem auf die Verbesserung der beruflichen und finanziellen Situation der Frauen. Insgesamt konstatiert der Bericht, dass den Frauen eine weitaus größere Anpassungsleistung im Einigungsprozess abverlangt wird als den Männern. Ein Großteil der Frauen verliert mit der Wiedervereinigung ihren Arbeitsplatz, die bezahlbare Wohnung, das sichere Umfeld und ihre Stellung in Familie und Gesellschaft. Auch wenn die Belastung durch Familie, Haushalt und volle Berufstätigkeit von vielen als sehr hoch empfunden wird, entspricht die Aussicht auf ein Hausfrauendasein nicht den Vorstellungen vieler Frauen von einem selbstbestimmten Leben. Die Frauen müssen im vereinten Deutschland, das in den 1990er Jahren von den Lebensentwürfen der alten Bundesrepublik dominiert wird, ein gänzlich neues Selbstverständnis und Selbstbewusstsein entwickeln.

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