Ministerium für Familie und Frauen

Die Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit bildet einen Schwerpunkt der Familien- und Frauenpolitik in der DDR. Im Unterschied zur Bundesrepublik ist in der DDR das Hausfrauendasein gesellschaftlich wenig akzeptiert. Vielmehr gilt hier das Leitbild der voll berufstätigen Frau und Mutter. Ursprünglich eingeführt, um den Arbeitskräftemangel in den Nachkriegsjahren zu kompensieren, ist die Erwerbstätigkeit der Frauen ein fester Bestandteil ihres Selbstverständnisses geworden und Ausdruck eines selbstbestimmten Lebens. Durch verschiedene sozialpolitische Maßnahmen zur Förderung der Frauenerwerbstätigkeit weist die DDR am Ende der 1980er Jahre mit über 90% eine der weltweit höchsten Frauenerwerbsquoten auf.

Großfamilie in Leipzig 1979. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-U0108-402, Fotograf: Waltraud Grubitzsch
Großfamilie in Leipzig 1979. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-U0108-402, Fotograf: Waltraud Grubitzsch

Trotz der auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf ausgelegten Strukturen sind die meisten Frauen aufgrund der ungleichen Lastenverteilung innerhalb der Familien einer hohen Mehrfachbelastung ausgesetzt. Sie kümmern sich neben dem Vollzeitjob um den Haushalt, die Pflege von Kindern bzw. Angehörigen und organisieren den familiären Alltag. Die Regelungen der Frauen- und Familienpolitik der SED verfolgen vor allem wirtschaftliche Ziele und haben die demographische Entwicklung im Blick, die seit den 1970er Jahren von einem Geburtenrückgang gekennzeichnet ist. Eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter wird durch diese Maßnahmen nicht angestrebt. Diese Missstände werden nach dem Sturz des SED-Regimes im Herbst 1989 erstmals öffentlich thematisiert. Im Zuge der Regierungsbildung nach den Volkskammerwahlen wird mit der Errichtung eines Ministeriums für Familie und Frauen (MfFF) ein Zeichen des Neubeginns gesetzt. Die neue Familienministerin, Diplompädagogin Christa Schmidt, formuliert in einer Rede vor dem Volkskammerausschuss für Familie und Frauen am 9. Mai 1990 als Ziel für ihre Politik: „Fehlentwicklungen, die in den vergangenen Jahrzehnten auf dem Rücken vieler Familien und Frauen ausgetragen worden sind, müssen korrigiert werden. Die Familie muß als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft wieder der erste und wichtigste Ort individueller Geborgenheit und Sinnvermittlung werden.“

Von den tiefgreifenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen sind Frauen, Kinder und ältere Menschen in besonderer Weise betroffen. Im Zuge der wirtschaftlichen Reformen verlieren Frauen im Vergleich zu den Männern häufiger ihre Arbeitsstelle. Da zugleich viele Einrichtungen der Kinderbetreuung schließen, gehen sie wieder verstärkt häuslichen Tätigkeiten nach und übernehmen selbst die Kinderbetreuung – auch wenn das dem Selbstverständnis vieler Frauen widerspricht, die gerne arbeiten gehen wollen. In der drohenden Massenarbeitslosigkeit und deren Auswirkungen im sozialen Bereich mit Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 sieht die neue Ministerin die größte Herausforderung für ihr Ministerium. Die Familienpolitik wird daher mit einem Sozialpaket abgesichert, das in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Arbeit und Soziales, dem Ministerium für Gesundheitswesen und dem Ministerium für Finanzen entsteht. Das Sozialpaket umfasst das Arbeitsförderungsgesetz, das Schwerbehindertengesetz und das Sozialhilfegesetz. Für die Erarbeitung des Sozialhilfegesetzes, das die wirtschaftliche und soziale Sicherung von Familien gewährleisten soll, ist das Ministerium für Familie und Frauen federführend zuständig.
Im Zuge der Angleichung beider Rechtssysteme kommt es außerdem zu kontroversen Debatten über den Umgang mit dem Schwangerschaftsabbruch, der in DDR viel liberaler gehandhabt wird als in der Bundesrepublik. Auch das bisherige Familien- und Scheidungsrecht verändert sich durch die Rechtsangleichung im Einigungsprozess.

Neugründung des Ministeriums

Ministerin Christa Schmidt trifft am 23. April 1990 in Bonn ihre bundesdeutsche Amtskollegin Ursula Lehr zum Gespräch. Quelle: Bundesregierung / Stutterheim
Ministerin Christa Schmidt (l.) trifft am 23. April 1990 in Bonn ihre bundesdeutsche Amtskollegin Ursula Lehr zum Gespräch. Quelle: Bundesregierung / Stutterheim

Vor 1989 gibt es in der DDR kein eigenes Familienministerium. Unter der Regierung de Maizière wird das Ministerium für Familie und Frauen neu gegründet. Dazu werden Arbeitsgebiete, die in besonderer Weise Familien- und Frauenthemen berühren, aus anderen Bereichen wie Gesundheit, Bildung, Arbeit und Soziales herausgelöst und im MfFF angesiedelt. Aufgrund der Neugründung kann weder auf vorhandene Räumlichkeiten, noch Verwaltungsstrukturen, Arbeitsmittel oder Personal zurückgegriffen werden. Daher bezieht die neue Ministerin Christa Schmidt zunächst Räumlichkeiten im Gesundheitsministerium in der Rathausstraße 3. An ihrer Seite beginnen im Mai 1990 Hans Geisler und Helga Kreft ihre Tätigkeit als Staatssekretär bzw. Staatssekretärin im MfFF. Auch ein Berater aus dem bundesdeutschen Familienministerium leistet Unterstützung beim Aufbau des Ministeriums in Ost-Berlin. Strukturell wird das Ministerium bis Juli 1990 weitgehend nach dem Vorbild des bundesdeutschen Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit aufgebaut. Es besteht aus drei Abteilungen:

  • Abteilung 1: Innerer Dienst, Personal, Haushalt
  • Abteilung 2: Familie, ältere Menschen, Sozialhilfe
  • Abteilung 3: Gleichstellung von Mann und Frau

Die ersten Wochen und Monate des MfFF stehen im Zeichen des Aufbaus und der Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Ministeriums und der damit verbundenen Personalgewinnung. Der Grundstock des Ministeriumspersonals wird aus Personen zusammengestellt, die in anderen Ministerien bereits an ähnlichen Themen arbeiten, wie z.B. dem Ministerium für Gesundheitswesen, und ins MfFF übernommen werden. Es werden insgesamt etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt. Darüber hinaus arbeitet das Familienministerium sehr eng mit anderen Ministerien zusammen, allen voran mit den Ministerien für Justiz, Arbeit und Soziales, Gesundheitswesen sowie Jugend und Sport. Im August bezieht das MfFF neue Räume in der Johannes-Dieckmann-Straße 42-43. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wird das Ministerium wieder aufgelöst. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Staatssekretärin Kreft, werden anschließend ins Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übernommen.

In der Koalitionsvereinbarung ist darüber hinaus die Schaffung einer/s Beauftragten für die Gleichstellung von Frauen und Männern in Regierung und Parlament beschlossen worden. Zur Gleichstellungsbeauftragten wird am 16. Mai 1990 Marina Beyer ernannt. Der geplante Volkskammerausschuss für die Gleichstellung von Frau und Mann wird hingegen nicht verwirklicht. Die Gleichstellungsbeauftragte wird als Arbeitsstab im Ministerium für Familie und Frauen angesiedelt und ebenfalls zum 3. Oktober 1990 wieder aufgelöst.

Sendung „Auf ein Wort“ mit Familienministerin Christa Schmidt, in der sie über ihre Vorstellungen einer neuen Familien- und Frauenpolitik spricht. (ohne Datum)

Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

Beitrag aus der Sendung „Aktuelle Kamera“ über eine gemeinsame Tagung des Unabhängigen Frauenverbandes und des Deutschen Frauenrats über Perspektiven der Frauenpolitik im deutsch-deutschen Einigungsprozess vom 19. Mai 1990.

Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

Im Interview erinnert sich Christa Schmidt an die Gründung und den Aufbau des Ministeriums für Familie und Frauen im April 1990.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Ministerbiografie

Diplompädagogin Christa Schmidt wird als Ministerin für Familie und Frauen ins Kabinett de Maizière berufen.

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Staatssekretäre

Die Staatssekretäre im Ministerium für Familie und Frauen: Hans Geisler, Helga Kreft sowie die Gleichstellungsbeauftragte Marina Beyer.

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Familienpolitik

Der wirtschaftliche Umbruch und seine Folgen stellen eine große Herausforderung für die Umsetzung einer neuen Familienpolitik dar.

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Das Sozialhilfegesetz

Das Sozialhilfegesetz wird federführend im MfFF erarbeitet und soll die wirtschaftliche und soziale Sicherung von Familien gewährleisten.

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Streit um Fristenregelung

Bei den Verhandlungen um die deutsche Einheit und der Rechtsangleichung rückt das Thema Schwangerschaftsabbruch in den Fokus der Öffentlichkeit.

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Die Beauftragte für die Gleichstellung von Frauen und Männern

Die Diskrepanz zwischen dem Verfassungsgebot der Gleichberechtigung und der realen Lebenswirklichkeit wird Ende 1989 erstmals öffentlich thematisiert.

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