Berufsausbildung

Die Berufsausbildung ist bis 1989 fester Bestandteil der zentralistischen Arbeitskräfteplanung. Das bedeutet, es gibt einen staatlich garantierten Anspruch auf einen Ausbildungsplatz, allerdings ohne echte Wahlfreiheit. Entsprechend dem staatlich definierten Bedarf wird die Zulassung zu den Berufen und Ausbildungsplätzen reglementiert und gesteuert.

Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0926-302, Fotograf: Jürgen Sindermann
Computerkabinett der Betriebsberufs-schule des VEB Schiffselektronik Rostock 1986. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0926-302, Fotograf: Jürgen Sindermann

Die Berufsbildung ist dual angelegt mit einem theoretischen Teil, der in den Berufsschulen und einem praktischen Ausbildungsteil, der in den Betrieben und Lehrwerkstätten stattfindet. Eine organisatorische und rechtliche Trennung zwischen betrieblicher und schulischer Ausbildung besteht nicht, da die meisten Betriebe volkseigen, also staatlich, sind. Zudem verfügen viele große volkseigene Betriebe über eigene Betriebsberufsschulen und Lehrwerkstätten.

Im Berufsbildungssystem der DDR sind bis 1989 folgende Ausbildungswege vorgesehen:

  • Ausbildungsberufe für Schulabgänger der 8. Klasse mit einer Dauer von 2,5 bis 3 Jahren
  • Facharbeiterausbildung für Schulabgänger der 10. Klasse mit einer Dauer von 2 Jahren (am weitesten verbreitet; anschließend Möglichkeit zum Studium an Ingenieur- und Fachschule)
  • Berufsausbildung mit Abitur mit einer Dauer von 3 Jahren (Erweiterte Facharbeiterausbildung, die zu einem Studium an Universität und Hochschule berechtigt)
  • Abitur an der Erweiterten Oberschule und Studium an Universität bzw. Hochschule

Die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der DDR machen es notwendig, die berufliche Ausbildung den neuen Bedingungen anzupassen. Ziel ist es, jedem jungen Erwachsenen weiterhin eine praxisorientierte, nun aber den marktwirtschaftlichen Erfordernissen entsprechende berufliche Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung auf qualitativ hohem Niveau zu ermöglichen. Damit soll sowohl den Erfordernissen des neuen Arbeitsmarktes Rechnung getragen, als auch drohender Jugendarbeitslosigkeit entgegen gewirkt werden.

Nach dem Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion ist zu beobachten, dass viele Betriebe im Rahmen der Privatisierung versuchen, ihre Berufsschulen und betrieblichen Kindergärten auszugliedern. Das hat zur Folge, dass die mit den Berufsschulen fest verbundenen betrieblichen Ausbildungsplätze in ihrer Existenz bedroht sind. Mit unterschiedlichen Maßnahmen werden große Anstrengungen unternommen, die Ausbildungsplätze zu erhalten, und die in diesem Zusammenhang bisher genutzten Gebäude sowie das Inventar der Ausbildungsstätten für die weitere Nutzung zu sichern.

Veränderungen im Berufsbildungswesen

Damit die Berufsbildung bis zum Beginn des neuen Lehrjahres am 1. September auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt ist, werden im Juli 1990 zwei wichtige Gesetze beschlossen:

  • Gesetz zur Inkraftsetzung des Berufsbildungsgesetzes der Bundesrepublik durch die DDR
  • Gesetz über Berufsschulen

Mit diesen beiden Gesetzen werden der Ordnungsrahmen und die Berufsstruktur der Bundesrepublik im Bereich der beruflichen Bildung in der DDR eingeführt. Das Berufsbildungsgesetz enthält allgemeine Regelungen zur Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und Umschulung. Es legt beispielsweise die Bezeichnung des Ausbildungsberufes, die Ausbildungsdauer, die Fertigkeiten und Kenntnisse, die Gegenstand der Berufsbildung sind, einen Ausbildungsrahmenplan sowie die Prüfungsanforderungen fest.
Das Gesetz über Berufsschulen regelt die Aufgaben, die Errichtung und Finanzierung von Berufsschulen und behält solange Gültigkeit bis die künftigen neuen Länder eigene Schulgesetze erlassen. Damit wird für die Zeit des Übergangs verhindert, dass im Bereich der Berufsbildung ein rechtsfreier Raum entsteht.

Von zentraler Bedeutung ist die Beibehaltung des dualen Prinzips der Ausbildung. Der Unterschied besteht aber künftig darin, dass die berufspraktische Ausbildung im privaten Ausbildungsbetrieb stattfindet und die theoretische Ausbildung getrennt davon in einer öffentlichen Berufsschule erfolgt. Das Gesetz über Berufsschulen legt fest, dass die alten Betriebsberufsschulen zum 31. August 1990 formal aufzulösen und zum 1. September 1990 in kommunale Trägerschaft zu überführen sind. Damit wird eine geordnete Übergabe ermöglicht und verhindert, dass im Zuge der Reprivatisierung der volkseigenen Betriebe die vorhandenen (und dringend benötigten) Berufsschulen einfach verschwinden. Als Berufsschulen in Trägerschaft der Kreise und kreisfreien Städte sind sie öffentliche Schulen und werden als solche aus öffentlicher Hand finanziert. Das hat den Vorteil, dass zugleich einheitliche Rahmenbedingungen für die Berufsschullehrer und ihre künftige soziale Stellung geschaffen werden. Der Staat beteiligt sich bis zur endgültigen Regelung durch neue Ländergesetze an den Kosten für Lehrpersonal, Betrieb und Unterhalt der Berufsschulen. Darüber hinaus regelt das Gesetz, dass die bisher für den theoretischen Unterricht genutzten Gebäude einschließlich Grund und Boden sowie das dazugehörige Inventar der Betriebsberufsschule kostenlos in die Rechtsträgerschaft des örtlich zuständigen Trägers der Berufsschule übergeht. Auch die Lehrlingswohnheime sind dem neuen Träger bis spätestens 31. Dezember 1990 kostenlos zur Nutzung zu übergeben. Die Wohnrechte der Lehrlinge bleiben erhalten.

Eine weitere Neuerung ist, dass der Zugang zur beruflichen Bildung offener gestaltet wird. Mit der Einführung eines Berufsvorbereitungsjahres bzw. eines Berufsbildungsgrundjahres werden mehr Möglichkeiten geschaffen, um ein für alle Schulabgänger passendes Ausbildungsangebot bereitzuhalten. Dies ist notwendig, da Schätzungen aus dem Juli 1990 davon ausgehen, dass etwa 10.000 bis 12.000 Schulabgänger ohne Ausbildungs- bzw. Arbeitsvertrag sind. Hauptursache dafür ist die wirtschaftlich prekäre Lage vieler Betriebe, die zögern, neue Lehrlinge einzustellen. Nach dem Gesetz über Berufsschulen sind diese Jugendlichen jedoch ein Jahr lang berufsschulpflichtig. Mit der Absolvierung eines berufsvorbereitenden Jahres sollen sich die Jugendlichen entsprechend ihren individuellen Voraussetzungen auf das künftige Arbeitsleben vorbereiten. Als flankierende Maßnahme zur Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit bestätigt der Ministerrat außerdem im August 1990 einen Beschluss zur Ausbildungsplatzförderung für Schulabgänger und Lehrlinge im Lehrjahr 1990/91. Das Förderprogramm umfasst 100 Millionen DM. Lehrlinge aus konkursgefährdeten Betrieben erhalten einen Zuschuss zu ihren Ausbildungskosten, wenn sie ihre Ausbildung in einem anderen Betrieb oder überbetrieblich fortsetzen. Außerdem werden neue Ausbildungsplätze im Zusammenhang mit Existenzgründungen im Handwerk und der mittelständischen Industrie gefördert. Für Werkstatt- und Übungsplätze wird eine Überbrückungsfinanzierung gewährt.

Hans Joachim Meyer äußert sich im Interview über das Berufsschulwesen der DDR, die Berufsausbildung mit Abitur und die Veränderungen auf diesem Gebiet während des Einigungsprozesses.

Bundesstiftung Aufarbeitung, 2015

Zweite Lesung des Gesetzes über die Inkraftsetzung des Berufsbildungsgesetzes der Bundesrepublik in der DDR während der 25. Volkskammersitzung am 19. Juli 1990.

Deutscher Bundestag

Rainer Jork, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Bildung und Wissenschaft, zu Berufsabschlüssen.

© "Von der Revolution zum Regieren", ein Projekt des Institut für angewandte Geschichte e.V., gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2018-2019

Anerkennung erworbener Abschlüsse

Die wohl wichtigste Frage im Zusammenhang mit der Reformierung der Berufsausbildung ist die Anerkennung erworbener Abschlüsse. Gespräche über die Anerkennung des DDR-Abiturs als Zugangsberechtigung zu Hochschulen der Bundesrepublik sowie der Anerkennung einzelner Studienabschlüsse beginnen schon im Februar und März 1990 unter der Modrow-Regierung. Im Mai 1990 beschließt die Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik schließlich die Anerkennung des DDR-Abiturs als vollwertige Hochschulreife und des 10.-Klasse-Abschlusses als Realschulabschluss. Die weitere Anerkennung von Bildungsleistungen und -abschlüssen der DDR sind Gegenstand der Beratungen innerhalb der gemeinsamen Bildungskommission. Deren Ergebnisse finden Eingang in die Verhandlungen zum Einigungsvertrag. Dort wird in Artikel 37 festgelegt, dass in der DDR „erworbene oder staatlich anerkannte schulische, berufliche und akademische Abschlüsse oder Befähigungsnachweise“ im Bereich der neuen Länder uneingeschränkt ihre Gültigkeit behalten. Die in den neuen und alten Ländern der Bundesrepublik abgelegten Prüfungen oder erworbenen Befähigungsnachweise stehen einander gleich und verleihen gleiche Berechtigungen, wenn sie gleichwertig sind. Die Anerkennung der Gleichwertigkeit wird „auf Antrag von der jeweils zuständigen Stelle festgestellt“. Das heißt, für einen Berufsabschluss der DDR kann eine Gleichwertigkeit festgestellt werden, wenn es einen vergleichbaren Berufsabschluss in der Bundesrepublik gibt. In der Folge wird die Kultusministerkonferenz in den 1990er Jahren auf der Grundlage des Einigungsvertrages mehrere Regelungen zur Feststellung der Gleichwertigkeit von Fachschul- und Ingenieurschulabschlüssen, einschließlich militärischen Abschlüssen, treffen.

Weiterhin schreibt Artikel 37 fest, dass die in der DDR erworbenen akademischen Grade, Berufsbezeichnungen und Titel weitergeführt werden dürfen. An diesem Punkt entzündet sich im Nachhinein vielfach Kritik, weil von der Anerkennung dieser Abschlüsse die Hochschulen und Ausbildungsstätten des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit nicht ausdrücklich ausgenommen sind.

Weitere Regelungen im Einigungsvertrag sind:

  • Lehramtsprüfungen werden im Anerkennungsverfahren durch die Kultusministerkonferenz geregelt.
  • Bei einem Hochschulwechsel werden die bisher erbrachten Studien- und Prüfungsleistungen der Studierenden im Rahmen der allgemeinen Vorschriften anerkannt.
  • Die Abschlüsse der Fach- und Ingenieurschulen der DDR behalten ihre Gültigkeit als Hochschulzugangsberechtigung. Eine weitergehende Anerkennung dieser Abschlüsse für darauf aufbauende Schul- und Hochschulausbildungen sind durch die Kultusministerkonferenz zu regeln. Für eine Vielzahl der Abschlüsse werden in der Folge Nachqualifizierungskurse bzw. Nachdiplomierungen angeboten.

Der Einigungsvertrag sieht bewusst keine Regelung von Angelegenheiten vor, die künftig in den Ländern entschieden werden sollen oder Gegenstand von Tarifverhandlungen sind. Auch die Gesetze zur Berufsbildung vom Juli 1990 werden im Einigungsvertrag fortgeschrieben, d.h. sie behalten ihre Gültigkeit bis zum Inkrafttreten entsprechender gesetzlicher Regelungen in den neuen Ländern.

Redebeitrag von Minister Hans Joachim Meyer anlässlich einer Aktuellen Stunde zur Bildungspolitik in der Volkskammer am 20. September 1990.

Deutscher Bundestag

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